EHA 2012

14. bis 17. Juni, Amsterdam

 

Schlüsselwörter: EHA 2012, Multiples Myelom, MM, Smoldering Myelom, Myelodysplastisches Syndrom, MDS, akute myeloische Leukämie, AML, Lenalidomid, Bortezomib, Bendamustin, Pomalidomid, Carfilzomib, Elotuzumab, Azacitidin, Decitabin, Panobinostat, hypomethylierende Substanzen, oraler Proteasomeninhibitor (MLN9708), Daratumumab,  allogene Stammzelltransplantation, Mutationen, TET2, SR3B1, TP53, Ringsideroblasten, NGS, SNP-A, Eisenchelation, Eltrombopag, Clofarabin, GvHD, klonale Evolution

 

Diesen Kongressbericht als PDF herunterladen

Editorial

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

mehr als 9.000 Teilnehmer fanden sich zur 17. Jahrestagung der European Society of Hematology (EHA) im RAI-Kongresszentrum in Amsterdam ein. Die steigenden Besucherzahlen mit Teilnehmern aus aller Welt beweisen, dass der Stellenwert dieses europäischen Kongresses auch außerhalb Europas immer höher wird.

Sowohl in den bereits am Donnerstag stattfindenden Satellitensymposien und den einen guten Überblick bietenden Educational Sessions am Freitag als auch in den Poster Sessions, Simultaneous Sessions und Hematology-in-Focus-Sessions am Samstag und Sonntag konnten sich die Tagungsgäste über die wichtigsten neuen Erkenntnisse in der Hämatoonkologieforschung informieren.

Aus der Vielzahl an interessanten Beiträgen haben wir für die beiden Schwerpunktbereiche Multiples Myelom und Myelodysplastisches Syndrom/AML diejenigen ausgewählt, die Ihnen für die klinische Praxis hilfreich sein können oder die Ihnen einen Ausblick auf mögliche zukünftige Therapieoptionen bei Patienten geben, die auf die aktuellen Standardtherapien nur unzureichend ansprechen. Über diese Beiträge und unsere persönlichen Eindrücke berichten wir Ihnen in diesem Kongressbericht.

Nach spannenden Kongresstagen wünschen wir Ihnen eine interessante Lektüre und hoffen, dass Sie mit neuen Erkenntnissen in Ihren Praxisalltag zurückkehren.

Mit kollegialen Grüßen

Dr. med. Marc-Steffen Raab, Universitätsklinikum Heidelberg
Dr. med. Catharina Müller-Thomas, Klinikum rechts der Isar, München

Multiples Myelom – auf dem Weg zur chronischen Erkrankung durch innovative Substanzen und neue Kombinationstherapien

Dr. med. Marc-Steffen Raab, Universitätsklinikum Heidelberg

Auch auf dem diesjährigen EHA-Meeting in Amsterdam standen die bereits erzielten Erfolge bei der Behandlung des Multiplen Myeloms, die durch den Einsatz der sogenannten „neuen Substanzen“ Thalidomid, Lenalidomid und Bortezomib erreicht werden konnten, im Mittelpunkt. Ein weiterer Schwerpunkt war aber insbesondere auch die Weiterführung der therapeutischen Konzepte mit neuen Substanzen und neuen Kombinationen. Ziel hierbei ist vor allem, das Multiple Myelom in einen chronischen Verlauf zu überführen und hoffentlich eines Tages zu heilen.

Eine retrospektive Analyse aus Schweden stellte jetzt die bisherigen Therapieerfolge bei der Behandlung des Multiplen Myeloms im Hinblick auf das Gesamtüberleben eindrucksvoll dar. Sie hatte Patienten, die außerhalb klinischer Studien behandelt wurden, keine Hochdosistherapie bekommen und in den letzten zwölf Jahren ihre Erstdiagnose erhalten hatten, analysiert [1]. Patienten, die neue Substanzen wie Thalidomid, Lenalidomid oder Bortezomib in der Erstlinientherapie erhalten hatten, wiesen ein signifikant längeres medianes Gesamtüberleben auf als Patienten mit ausschließlich konventioneller Therapie (61,2 vs. 26,4 Monate; p < 0,001). Allerdings sind auch diese beeindruckenden Daten noch kein Anzeichen dafür, dass mit den neuen Substanzen eine Chronifizierung der Erkrankung erreicht werden kann, da der Vergleich mit dem Gesamtüberleben der Normalbevölkerung nach Abgleich bezüglich Alter und Geschlecht auch weiterhin eine kürzere Überlebenszeit für Myelompatienten erkennen lässt (fünf Jahre, 52 Prozent vs. 77 Prozent).

Fazit:

Die Daten der Studie zeigen, dass auch weiterhin eine Verbesserung der therapeutischen Optionen in allen Krankheitsstadien notwendig ist. Dies kann sowohl durch eine rationale Kombination und geschickte Abfolge bekannter Substanzen geschehen als auch durch den Einsatz neuer, innovativer Substanzen jenseits der Thalidomid-Lenalidomid-Bortezomib-Trilogie.

Smoldering Myelom – frühzeitige Therapie kann Krankheitsprogression verhindern

Das asymptomatische (oder smoldering) Multiple Myelom ist derzeit definiert durch einen klonalen Plasmazellanteil im Knochenmark von mindestens zehn Prozent und/oder einen Paraproteingehalt des Serums von mindesten 30 g/l und dem Fehlen von Endorganschäden wie Osteolysen, Anämie, Niereninsuffizienz oder Hyperkalziämie. Bisher war eine Therapie dieser Patienten nicht angeraten, da es keine Daten gab, die einen Vorteil für eine frühzeitige Behandlung im Vergleich zu potenziellen Nebenwirkungen und Komplikationen zeigten. In jüngster Zeit rückt diese Patientengruppe durch die Verfügbarkeit neuerer Substanzen mit günstigem Nebenwirkungsprofil jedoch vermehrt in den therapeutischen Fokus. Insbesondere mit monoklonalen Antikörpern sind hier interessante und vielversprechende Ansätze denkbar. Beispielsweise werden bei asymptomatischen Myelompatienten bereits Antikörper gegen DKK1 (Dickkopf-1) wie BHQ880 – hier mit dem Ziel der Verhinderung von Osteolysen – und gegen IL-6 (Siltuximab) – um den Übergang in ein symptomatisches Stadium zu vermeiden – getestet. Erste Studienergebnisse hiervon werden mit Spannung erwartet. Aber auch die neuen Substanzen zeigen beim Smoldering Myelom gute Ergebnisse. Aktuelle Daten einer spanischen Studie mit Lenalidomid 25 mg (Tag 1–21) und 20 mg Dexamethason an den Tagen 1–4 und 12–15 eines 28tägigen Zyklus über neun Zyklen gefolgt von einer Erhaltungstherapie mit Lenalidomid 10 mg über einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren zeigten  bei 118 auswertbaren Patienten eine signifikante Verlängerung der medianen Zeit bis zur Krankheitsprogression in ein symptomatisches Stadium („nicht erreicht“ vs. 25 Monate im Beobachtungsarm; p < 0,0001) und des medianen Gesamtüberlebens drei Jahre nach Studieneinschluss (98 Prozent vs. 82 Prozent; p = 0,05) (Abb. 1) [2]. Allerdings traten auch einige Grad-3-Nebenwirkungen im Behandlungsarm auf – insbesondere Anämie, Infektionen und Exantheme. Dies muss sicher unter dem Gesichtspunkt, dass der derzeitige Standard für diese Gruppe von Patienten keine Therapie vorsieht und die Patienten definitionsgemäß auch keine Symptome der Erkrankung haben, kritisch diskutiert werden.

Fazit:

Da sich diese Studien auf asymptomatische Patienten mit einem hohen Risiko der Krankheitsprogression innerhalb von zwei Jahren fokussieren, sind diese Daten insbesondere auch im Hinblick auf das verbesserte Gesamtüberleben von großem Interesse. Zur endgültigen Beurteilung dieses Ansatzes ist eine längere Nachbeobachtungszeit notwendig.

Abb. 1: Patienten mit Smoldering Myelom wiesen ein signifikant verlängertes Gesamtüberleben unter Lenalidomid-Dexamethason auf im Vergleich zu Patienten, die nicht behandelt wurden (modifiziert nach Mateos MV et al. Presented at Poster Session I, Myeloma Clinical 1, EHA 2012, Amsterdam, Abstract 0283) [2].

„Das asymptomatische Multiple Myelom rückt zunehmend in das therapeutische Interesse mit ersten vielversprechenden Ansätzen innerhalb klinischer Studien.“ Dr. Marc-Steffen Raab

Neu diagnostizierte, symptomatische Patienten – vielversprechende Ergebnisse mit neuen Proteasomeninhibitoren

Bei neu diagnostizierten symptomatischen Patienten wird grundsätzlich unterschieden zwischen Patienten, die für eine Hochdosistherapie mit autologer Stammzelltransplantation in Frage kommen, und denjenigen, die mit einer konventionell dosierten Therapie behandelt werden. Bezüglich der ersten Gruppe gab es dieses Jahr relativ wenig neue Daten. Erwähnenswert ist die erste Interimsanalyse der GMMG-MM5-Studie, die in der Induktionstherapie die beiden in Deutschland gebräuchlichen Kombinationen aus Bortezomib, Adriamycin und Dexamethason (PAd) sowie aus Bortezomib, Cyclophosphamid und Dexamethason (VCD) vergleicht [3]. Die protokollgemäße Zwischenauswertung nach den ersten 150 Patienten ergab keinen Unterschied bezüglich der Ansprechraten. Allerdings führte VCD zu einer signifikant höheren Rate an Grad-3/4-Neutropenien und Leukopenien. Zudem war die Häufigkeit von Infektionen (mind. Grad 2) höher unter PAd (31,1 Prozent vs. 13,3 Prozent). Insgesamt scheinen jedoch beide Kombinationen relativ gut verträglich, da über 90 Prozent aller Studienteilnehmer die geplanten drei Zyklen der Induktionstherapie erhalten haben.

In der Gruppe der Patienten, die primär nicht für eine Hochdosistherapie vorgesehen sind, spielen derzeit zwei vielversprechende Proteasomeninhibitoren der zweiten Generation die Hauptrolle: Das intravenöse Carfilzomib und das orale MLN9708. Beide Substanzen werden in der Erstlinientherapie derzeit als Ersatz für Bortezomib in den bekannten Kombinationen mit Melphalan und Prednison beziehungsweise mit Lenalidomid und Dexamethason untersucht.

In einer Phase-I/II-Studie untersuchten Moreau und Kollegen eine Dosiseskalation von Carfilzomib. Sie erreichten die maximal tolerierte Dosis bei 36 mg/m² an den Tagen 1+2, 8+9, 22+23, 29+30 eines 42-Tage-Zyklus[4]. Zusammen mit Melphalan 9 mg/m² und Prednison 60 mg/m² an den Tagen 1–4 konnte ein Gesamtansprechen von 92 Prozent erreicht werden. Von insgesamt 40 Patienten erreichten 40 Prozent ein Ansprechen ›= VGPR. Vergleichbar hierzu rekrutiert derzeit eine Phase-I/II-Studie mit MLN9708, die verschiedene Applikationsvarianten des oralen Proteasominhibitors in der gleichen Kombination mit Melphalan/Prednison untersuchen soll [5]. Diese Studie geht nun in die Phase II; derzeit sind noch zu wenige Daten über die Ansprechraten verfügbar.

Eine beeindruckende Aktivität scheinen die Kombinationen der beiden neuen Proteasomeninhibitoren in Kombination mit Lenalidomid und Dexamethason zu haben. Jakubowiak und Kollegen berichteten für Carfilzomib in dieser Kombination einer Rate an nahezu kompletten Remissionen (nCR) von 62 Prozent mit stringenter CR in 42 Prozent der Fälle [6]. Diese Studie ermöglichte Patienten auch die Option einer Hochdosistherapie mit autologer Stammzelltransplantation. In der entsprechenden Studie mit dem oralen Proteasomeninhibitor MLN9708 wird zusätzlich die wöchentliche mit der zweimal wöchentlichen Gabe von MLN9709 in Kombination mit Lenalidomid und Dexamethason verglichen [7]. In einer ersten Auswertung der wöchentlichen Dosierung von MLN9708 zeigte sich ein beeindruckendes Gesamtansprechen (mind. PR) von 98 Prozent und mindestens eine VGPR von 46 Prozent bei 45 Patienten, die mindestens vier Zyklen erhalten hatten (Tab. 1). Beide neuen Proteasomeninhibitoren scheinen bis jetzt eine deutlich geringere Rate an Polyneuropathien auszulösen als Bortezomib, insbesondere Grad-3-Neuropathien treten nur selten auf (Tab. 2). Eine Phase-III-Studie mit der wöchentlichen Gabe von MLN9709 in Kombination mit Lenalidomid und Dexamethason bei Patienten mit therapierefraktärem und rezidiviertem Myelom wird laut Richardson in Kürze gestartet.

„Carfilzomib scheint Bortezomib überlegen zu sein bezüglich Wirksamkeit und Nebenwirkungen. Die Zukunft dürfte den oralen Proteasomeninhibitoren gehören.“ Dr. Marc-Steffen Raab

Tab.1: Eine orale Kombinationstherapie mit dem Proteasomeninhibitor MLN907 und Lenalidomid/Dexamethason resultierte in einer Gesamtansprechrate von 98 Prozent bei einer wöchentlichen Dosierung des Proteasomeninhibitors (modifiziert nach Richardson P et al. Presented at Simultaneous Sessions, Multiple Myeloma - Clinical, EHA 2012, Amsterdam, Abstract 1144) [7].
Tab.2: Therapieassoziierte Nebenwirkungen einer Kombinationstherapie aus dem oralen Proteasomeninhibitor MLN907 und Lenalidomid/Dexamethason. Selbst in der zweimal wöchentlichen Dosierung von MLN907 traten periphere Neuropathien nur selten auf (modifziert nach Richardson P et al. Presented at Simultaneous Sessions, Multiple Myeloma - Clinical, EHA 2012, Amsterdam, Abstract 1144) [7].

Fazit:

Sollten sich die bisherigen Ergebnisse für Carfilzomib bestätigen, so könnte dies der neue Standard unter den Proteasomeninhibitoren werden – mit geringer Neuropathierate und hoher Wirksamkeit. Auch hier ist eine Weiterentwicklung in oraler Applikationsform in klinischer Prüfung, sodass in einigen Jahren orale Proteasomeninhibitoren für Myelompatienten zur Verfügung stehen werden.

Neue Therapieansätze in Rezidiv oder Progress – Carfilzomib und Pomalidomid in fortgeschrittener klinischer Entwicklung

Die großen internationalen Konferenzen der letzten beiden Jahre waren auf dem Gebiet der vorbehandelten Myelompatienten geprägt von den beiden meistversprechenden Substanzen – dem Proteasomeninhibitor der zweiten Generation Carfilzomib und dem Immunmodulator der dritten Generation Pomalidomid. Am 20. Juni 2012 hat das Oncologic Drugs Advisory Committee (ODAC) der U.S. Food and Drug Administration (FDA) ein eindeutiges Votum für die Zulassung von Carfilzomib nach zwei vorangegangenen Therapien ausgesprochen. Daher bestehen nun berechtigte Hoffnungen, dass Carfilzomib in Kürze zugelassen wird. Zu Pomalidomid präsentierte Dr. Xavier Leleu vom Hopital Huriez in Lille, Frankreich für die französische Studiengruppe Intergroupe Francophone du Myelome (IFM) aktualisierte Daten der IFM-2009-02-Studie [8]. 84 Patienten, die refraktär auf Lenalidomid und/oder Bortezomib waren, wurden entweder für 21 Tage oder für 28 Tage innerhalb der 28 Tage dauernden Zyklen mit Pomalidomid 4 mg und Dexamethason behandelt. Das Gesamtansprechen war mit 35 Prozent beziehungsweise 34 Prozent in beiden Therapiearmen vergleichbar. Eine Krankheitsstabilisierung konnte bei 44 Prozent beziehungsweise 51 Prozent der Patienten erreicht werden. Interessanterweise wurde die mediane Zeit bis zum nächsten Progress (time to progression) unter Pomalidomid unabhängig vom Ansprechen der Patienten in der letzten Vortherapie verlängert, im Median von fünf auf zehn Monate. Die Nebenwirkungen waren insgesamt moderat und hauptsächlich hämatotoxischer Natur.

„Pomalidomid ist wirksam in der Gruppe der Bortezomib- und Lenalidomid-refraktären Patienten, wo es bislang kaum therapeutische Optionen gab.“ Dr. Marc-Steffen Raab

Neue Kombinationen mit einer „alten“ Substanz – gute Ansprechraten für Kombinationen mit Bendamustin

Interessanterweise befassten sich auf der diesjährigen EHA-Konferenz wieder einige Arbeiten mit Bendamustin-haltigen Kombinationstherapien. Auch hier war es die französische IFM, die Daten einer Phase-II-Studie präsentierte, die in einem 28-tägigen Zyklus Bendamustin 70 mg/m² (Tag 1+8), Bortezomib 1,3 mg/m² und Dexamethason 20 mg (jeweils Tag 1+8+15+22) bei 73 älteren Patienten in einer Zweitlinientherapie untersuchte [9]. Insgesamt sprachen 57,5 Prozent der Patienten auf diese Therapie an – mit circa 23 Prozent VGPR oder besser. Jedoch wurde bei zwölf Patienten eine Sepsis unter Therapie diagnostiziert. Heinz Ludwig berichtete von einer sehr ähnlichen Studie mit Bendamustin 70 mg/m² (Tag 1 + 4), Bortezomib 1,3 mg/m² und Dexamethason 20 mg (Tag 1, 4, 8 und 11) mit nahezu deckungsgleichen Ansprechraten. Eine deutsche Studie der OSHO-Gruppe berichtete von einer Kombination von Bendamustin mit Lenalidomid und Prednisolon in einem dosiseskalierenden Ansatz [10]. Die für die nun geplante Phase II-Studie empfohlene Dosis war 25 mg Lenalidomid Tag 1-21 und 75 mg/m² Bendamustin Tag 1+2 sowie Prednisolon 100 mg Tag 1–4.

Fazit:

Die seit langem bekannte Substanz Bendamustin scheint aktuell auch beim Multiplen Myelom in neuen Kombinationen eine Renaissance zu erleben.

Monoklonale Antikörper neue Hoffnung für Patienten in Rezidiv oder Progress

Zu guter Letzt sei noch die derzeit hoch gehandelte und in der Therapie des Multiplen Myeloms neue Klasse an Therapeutika erwähnt – die monoklonalen Antikörper. Hier steht nun mit Elotuzumab der erste Vertreter in Phase-III-Studien in Kombination mit Lenalidomid und Dexamethason (Ld) zur Verfügung [11]. Hierzu wurden sehr aussichtreiche Daten einer Phase-II-Studie von Dr. Philippe Moreau vom Universitätsklinikum in Nantes, Frankreich präsentiert. Die Patienten erhielten dabei Elotuzumab in einer Dosierung von 10 mg/kg oder 20 mg/kg in Kombination mit Lenalidomid und niedrig dosiertem Dexamethason (Ld). Patienten unter der niedrigeren Dosierung mit 10 mg/kg wiesen dabei bessere Ansprechraten auf als Patienten unter der höheren Dosierung (ORR 92 Prozent vs. 76 Prozent). Das Gesamtansprechen für beide Dosierungen lag in dieser Lenalidomid-naiven Patientengruppe bei 84 Prozent mit einer VGPR-Rate von 41 Prozent. Das mediane progressionsfreie Überleben lag unter der höheren Dosierung bei 18,6 Monaten, unter der niedrigeren Dosierung war der Medianwert nach einem medianen Follow-up von 17,2 Monaten noch nicht erreicht. Aktuell wird die Kombination Elotuzumab/Ld in zwei Phase-III-Studien untersucht (Eloquent 1 und Eloquent 2). Allerdings ist auch dieser Antikörper, wie die meisten seiner bisher untersuchten Kollegen, nur in Kombination wirksam. Eine der wenigen Ausnahmen scheint hier der anti-CD38 Antikörper Daratumumab darzustellen, der in einer Phase-I-Studie als alleinige Therapie mit 29 Patienten bei fünf Patienten eine partielle Remission und bei weiteren 13 Patienten zumindest eine Stabilisierung der Erkrankung erreichen konnte [12].

Fazit:

Derzeit scheinen die monoklonalen Antikörper nun auch beim Multiplen Myelom Einzug zu halten, und es bleibt zu hoffen, dass in einigen Jahren ähnliche Erfolge mit dieser Substanzklasse zum Beispiel bei den Lymphomen zu erzielen sind.

Ausblick

Die Erfolge in der Therapie des multiplen Myeloms während der letzten zehn Jahre sind beeindruckend. Allerdings sind auch weiterhin die meisten Therapieansätze auf alle Patienten gleichermaßen ausgerichtet, ohne spezielle Untergruppen zu berücksichtigen. In letzter Zeit werden bei anderen Tumorentitäten zunehmend Therapieformen eingesetzt, die unter den Stichworten „individualisierte Medizin“ oder „personalisierte Onkologie“ spezifisch auf definierte Subpopulationen abgestimmt sind, die zum Beispiel eine bestimmte Mutation eines Onkogens oder eines Oberflächenrezeptors mit nachfolgender Aktivierung der Signalkaskade ausweisen. Beim Multiplen Myelom sind hierzu nun die ersten Grundlagen geschaffen mit der Publikation erster größerer genomweiter Sequenzierungen und daraus resultierender Identifikation von Mutationen oder Amplifikationen. Eine grundlegende Erkenntnis hierbei ist, dass nahezu alle Myelompatienten (97 Prozent) bereits bei der Diagnosestellung mindestens zwei Subklone tragen und diese sich im weiteren Verlauf der Erkrankung bei circa 80 Prozent aller untersuchten Proben weiter verändern (klonale Evolution) [13]. Dies macht die individualisierte Therapie dieser Erkrankung zu der großen Herausforderung dieses Jahrzehnts, da sich offensichtlich das Multiple Myelom nicht nur von Patient zu Patient erheblich unterscheidet, sondern sogar innerhalb desselben Patienten mehrere Varianten vorliegen. Die Teilnahme an entsprechenden klinischen Studien ist daher essenziell, um die Therapie dieser komplexen Erkrankung weiter zu entwickeln und Patienten die Aussicht auf langfristige Krankheitskontrolle oder sogar Heilung zu ermöglichen.

Literatur

  1. Liwing J et al. Is multiple myeloma a chronic disease? Haematologica 2012; 97 (e-S1);405–406, Abstract 0842
  2. Mateos MV et al. Smoldering multiple myeloma at high-risk of progression to symptomatic disease: a randomized trial of len-dex as induction followed by maintenance therapy with len alone versus no treatment. Presented at Poster Session I, Myeloma Clinical 1, EHA 2012, Amsterdam, Abstract 0283
  3. Goldschmidt H et al. GMMG MM5 trial in newly diagnosed multiple myeloma to evaluate PAD vs VCD induction prior to HDT followed by lenalidomide consolidation and maintenance – first interim analysis on induction. Presented at Poster Session I, Myeloma Clinical 1, EHA 2012, Amsterdam, Abstract 0283
  4. Moreau P et al. Phase I/II study of carfilzomab plus melphalan-prednisone (CMP) in elderly patients with de novo multiple myeloma.Haematologica 2012; 97 (e-S1);134, Abstract 0287
  5. San Miguel J et al. Oral MLN9708, an investigational proteasome inhibitor, in combination with melphalan and prednisone in patients with previously untreated multiple myeloma: a phase 1 study. Haematologica 2012; 97 (e-S1);137, Abstract 0293
  6. Jakubowiak A et al. Extended treatment with the combination of carfilzomab (CFZ) , lenalidomide (LEN) and dexamethasone (DEX) in patients with newly diagnosed multiple myeloma (NDMM). Presented at Poster Session I, Myeloma Clinical 1, EHA 2012, Amsterdam, Abstract 0284
  7. Richardson P et al. MLN9708, an investigational proteasome inhibitor, combined with lenalidomide and dexamethasone in previously untreated multiple myeloma patients: evaluation of weekly and twice-weekly dosing regimens. Presented at Simultaneous Sessions, Multiple Myeloma - Clinical, EHA
    2012, Amsterdam, Abstract 1144
  8. Leleu X et al. Enhanced aktivity of pomalidomide and dexamethasone in relapsed refractory myeloma irrespective to efficacy in their last prior line of therapy on behalf of IFM (Intergroupe Francophone du Myelome). Presented at Poster Session I, Myeloma Clinical 1, EHA 2012, Amsterdam, Abstract 0280
  9. Rodon PR et al. Bendamustine, bortezomib and dexamethasone (BVD) in elderly patients with relapsed/refractory multiple myeloma: the intergroupe francophone du myelome (IFM) 2009-01 protocol. Presented at Poster Session II, Myeloma Clinical 2, EHA 2012, Amsterdam, Abstract 0835
  10. Pönisch W et al. Combined Bendamustine prednisolone and lenalidomide (RBP) in patients with refractory or relapsed multiple myeloma, final results of a phase I clinical trial – OSHO-#077. Presented at Poster Session II, Myeloma Clinical 2, EHA 2012, Amsterdam, Abstract 0848
  11. Moreau PM et al. A randomized phase 2 study of elotuzumab with lenalidomide and low-dose dexamethasone in patients with relapsed/refractory multiple myeloma. Presented at Simultaneous Sessions, Multiple Myeloma - Clinical, EHA2012, Amsterdam, Abstract 1145
  12. Lokhorst H et al. Daratumumab, a CD38 monoclonal antibody in patients with multiple myeloma – preliminary efficacy and pharmacokinetics data from a dose-escalation phase I/II study. Presented at Simultaneous Sessions, Multiple Myeloma - Clinical, EHA2012, Amsterdam, Abstract 1143
  13. Bolli N et al. Whole exome sequencing defines clonal architecture and genomic evolution in multiple myeloma. Presented at Presidential Symposium, Best Abstracts, EHA 2012, Amsterdam, Abstract 0571

Auf dem Weg zur personalisierten Medizin – der Stellenwert somatischer Mutationen bei der Therapieentscheidung wird größer

Dr. med. Catharina Müller-Thomas, Klinikum rechts der Isar, München

In den Beiträgen zum myelodysplastischen Syndrom (MDS) auf der 17. Jahrestagung der European Hematology Association (EHA) standen die somatischen Mutationen und ihr Stellenwert in der Genese und Prognose des MDS im Mittelpunkt. Die aktuellen Entwicklungen lassen erkennen, dass mit der Analyse von bestimmten Mutationen die Aussagekraft der klinischen Prognosescores sinnvoll ergänzt werden kann. Laut Dr. Luca Malcovati von der Universität Pavia, Italien wird die Integration von Mutationen in künftige Scoring-Systeme eine stärker individualisierte und genauere Risikoklassifizierung ermöglichen und somit auch die klinische Entscheidungsfindung verbessern.

Neue molekulargenetische Techniken ermöglichten in den letzten Jahren interessante Einblicke in die Pathogenese des MDS. So konnte in letzter Zeit eine Vielzahl an Mutationen und Deletionen in Genen identifiziert werden, die für Proteine kodieren, die an verschiedenen kritischen zellulären Regulationsprozessen beteiligt sind (zum Beispiel Proteine der epigenetischen Regulation, des Splicing-Apparates, des DNA-Damage-Pathways oder der Signaltransduktion). Inwiefern diese somatischen Mutationen eine biologische Relevanz haben, wird im Moment von vielen Arbeitsgruppen untersucht. Es war daher nicht verwunderlich, dass sich auch auf der diesjährigen Jahrestagung der EHA viele Beiträge mit der Charakterisierung von somatischen Mutationen beim MDS und deren Integration in die Diagnose und die Risikostratifizierung beschäftigten. Es ist zu erwarten, dass molekulargenetische Analysen beim MDS in Zukunft bei der Diagnose und der prognostischen Klassifikation als auch als Prädiktor für ein klinisches Ansprechen zunehmend an Bedeutung gewinnen werden.

Pathogenese des MDS – Mutationen im Splicing-Apparat sind häufig und korrelieren mit bestimmten klinischen Phänotypen

Dr. Benjamin Ebert aus Boston, USA, Dr. Kenichi Yoshida aus Tokio, Japan und Dr. Frederik Damm aus Villejuif, Frankreich gaben einen Überblick über die kürzlich identifizierten Punktmutationen beim MDS. Dazu zählen Mutationen von Genen der epigenetischen Regulation (TET2, DNMT3A, IDH1, IDH2, EZH2, ASXL1), des RNA-Splicing-Apparates (SF3B1, SF3A1, ZRSR2, SRSF2, SF1, U2AF1, U2AF2), der Transkription (RUNX1, ETV6), der Signaltransduktion (NRAS, KRAS, BRAF, PTPN11, CBL, JAK2, GNAS) sowie von TP53.

Die Arbeitsgruppe von Benjamin Ebert hatte 2.011 Knochenmarkaspirate von 439 MDS-Patienten untersucht und dabei somatische Mutationen in 18 Genen entdeckt [1]. Mutationen in ASXL1, RUNX1, TP53, EZH2 und ETV6 waren mit einem signifikant verkürzten Gesamtüberleben assoziiert. Bei 51 Prozent aller MDS-Patienten ließ sich mindestens eine Punktmutation nachweisen, und 52 Prozent der Patienten mit Mutationen wiesen einen normalen Karyotyp auf. Am häufigsten (bei 20,5 Prozent der Patienten) wurden TET2-Mutationen detektiert, die in den meisten Fällen mit einem normalen Karyotyp assoziiert waren. Im Gegensatz dazu waren TP53-Mutationen mit komplexen zytogenetischen Aberrationen und erhöhten Blastenzahlen vergesellschaftet. Kenichi Yoshida et al. haben Mutationen des RNA-Splicing-Apparates detektiert und kürzlich in einem Artikel in „Nature“ publiziert [2]. Bedeutsam für das MDS sind Mutationen von U2AF35, ZRSR2, SRSF2 und SF3B1. Interessanterweise treten diese Mutationen nie in Kombination untereinander auf, aber jede Splicing-Genmutation war, wie eine Analyse von Frederik Damm et al. zeigte, jeweils kombiniert mit einer Genmutation der epigenetischen Regulation oder der Transkription [3]. Mutationen im Splicing-Apparat kommen bei vielen myeloischen Erkrankungen vor. Die Prävalenzen liegen beim MDS mit Ringsideroblasten bei 85 Prozent, beim MDS ohne Ringsideroblasten bei 44 Prozent, bei der chronischen myelomonozytären Leukämie (CMML) bei 55 Prozent, bei der therapieassoziierten akuten myeloischen Leukämie (AML) bei 26 Prozent und bei einer De-novo-AML bei sieben Prozent [2]. SF3B1-Mutationen finden sich überwiegend beim MDS mit Ringsideroblasten (Abb. 1) [4].

Abb. 1: Prävalenz von SF3B1-Mutationen beim MDS. Die SF3B1-Mutation tritt am häufigsten beim MDS mit Ringsideroblasten auf (modifiziert nach Campbell P. Presented at Hematology-in-Focus, Recent Advances in MDS, EHA 2012, Amsterdam) [4].

Laut einer aktuell publizierten Studie von Malcovati et al. liegt der positive Prädiktivwert für eine SF3B1-Mutation bei einem Nachweis von Ringsideroblasten bei 97,7 Prozent [5]. Die Entdeckung von solchen Genotyp-Phänotyp-Korrelationen könnte die Klassifikationssysteme des MDS in Zukunft entscheidend beeinflussen. In einer italienischen Untersuchung wurde festgestellt, dass SF3B1-Mutationen mit einem verminderten Hepcidingehalt einhergehen. Das hat zur Folge, dass verstärkt Eisen aus dem endothelialen Retikulum freigesetzt und vermehrt in den Organen abgelagert wird [6]. Daher scheinen transfusionsabhängige Patienten mit einer SF3B1-Mutation ein erhöhtes Risiko für eine Eisenüberladung zu haben.

Frederik Damm et al. haben 221 MDS-Patienten auf Splicing-Genmutationen untersucht: Diese Mutationen haben sie mit dem MDS-Phänotyp, dem Blutbild und dem MDS-Verlauf der Patienten in Korrelation gebracht [3]. Neben Ringsideroblasten waren SF3B1-Mutationen mit einem niedrigen Hämoglobinwert und einer erhöhten Leukozyten- und Thrombozytenzahl assoziiert. Patienten mit SRSF2- oder ZRSR2-Mutationen hatten im Knochenmark einen erhöhten Blastenanteil. Außerdem fielen bei SRSF2-Mutationen Thrombozytopenien und bei ZRSR2-Mutationen isolierte Neutropenien auf.

Fazit:

Die hohe Prävalenz von Mutationen im Splicing-Apparat lässt darauf schließen, dass Veränderungen am Spliceosom eine zentrale Rolle in der Pathophysiologie des MDS einnehmen. Die Mutationen sind mit unterschiedlichen klinischen Phänotypen assoziiert und könnten deshalb künftig für die Prognoseklassifikation von großer Bedeutung sein.

Diagnostik des MDS – neue molekulargenetische Techniken auf dem Vormarsch

Die Identifizierung zahlreicher somatischer Mutationen beim MDS mittels Next-Generation Sequencing (NGS), Single Nucleotide Polymorphism Arrays (SNP-A) oder Exomsequenzierung wirft die Frage nach dem Stellenwert dieser Techniken in der MDS-Diagnostik auf. Luca Malcovati von der Universität Pavia, Italien gab einen Überblick über die aktuellen Diagnostikstandards beim MDS. Die Morphologie der peripheren Blutzellen und des Knochenmarks sind nach wie vor der wichtigste Bestandteil der MDS-Diagnostik. Zusätzlich sollte eine Knochenmarkbiopsie zur Evaluation des Fibrosegrads erfolgen. Zur Standardisierung und Optimierung der Durchflusszytometrie in der MDS-Diagnostik wurde in einer multizentrischen Studie unter Leitung des European LeukemiaNET ein Score entwickelt, mit dem bei Niedrigrisiko-MDS in 65 Prozent der Fälle eine korrekte durchflusszytometrische Klassifizierung gelang [7]. Zum Nachweis zytogenetischer Aberrationen ist die Karyotypisierung weiterhin Standard. Die Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH) dient als Zusatzuntersuchung bei unzureichender Metaphasenkaryotypisierung (< 25 Metaphasen) oder bei komplexen chromosomalen Aberrationen. Mit SNP-A können Mikrodeletionen nachgewiesen werden, die der klassischen Zytogenetik und FISH entgehen.

Fazit:

Sowohl SNP-A als auch Genmutationsanalysen sind gegenwärtig eher von wissenschaftlichem Interesse. Allerdings ist davon auszugehen, dass sie in einigen Jahren Einzug in die Routine-MDS-Diagnostik halten.

Niedrigrisiko-MDS – ab wann transfundieren?

Ein weiterer zentraler Aspekt der diesjährigen Jahrestagung der EHA war die Lebensqualität, der eine eigene Session gewidmet war. Prof. Dr. med. Norbert Gattermann vom Universitätsklinikum in Düsseldorf zeigte in seinem Vortrag zu den klinischen Aspekten des MDS den Zusammenhang zwischen dem Schweregrad der Anämie und dem Sinken der Lebensqualität auf. Als besonders belastend empfinden die Patienten neben der Fatigue insbesondere auch Einbußen in den kognitiven Fähigkeiten, die häufig bei Hämoglobin-Werten (Hb-Werten) unter 10 g/dl auftreten [8]. Der größte Gewinn an Lebensqualität konnte bei einem Hb-Anstieg von 11 g/dl auf 12 g/dl verzeichnet werden [9]. Auch in Anbetracht dessen, dass das von der Leukämie unabhängige Mortalitätsrisiko bei einem Hb-Wert von weniger als 9 g/dl bei Männern und bei einem Hb-Wert von mehr als 8 g/dl bei Frauen stark ansteigt, sollte möglicherweise eine höhere Transfusionsschwelle als die aktuell gültige von 8 bis 10 g/dl angestrebt werden. Hierfür sprechen auch die Daten einer schwedischen Studie bei Niedrigrisiko-MDS-Patienten. Der Ziel-Hb-Wert lag in dieser Untersuchung bei mindestens 12 g/dl [10]. Zwar mussten zum Erreichen des Ziel-Hb-Werts zunächst mehr Erythrozytenkonzentrate transfundiert werden, die Transfusionsrate war im weiteren Verlauf jedoch nicht höher als bei niedrigeren Transfusionsschwellen.

Niedrigrisiko-MDS – weitere Hinweise für positive Effekte einer Eisenchelation bei Transfusionsabhängigkeit

Ob eine Eisenchelation bei transfusionsabhängigen Patienten mit Niedrigrisiko-MDS allgemein empfohlen werden kann, ist momentan noch Gegenstand von Diskussionen. Es gibt Hinweise aus mehreren retrospektiven Studien darauf, dass eine Eisenchelation bei transfusionsabhängigen Niedrigrisiko-MDS-Patienten mit einem verbesserten Gesamtüberleben assoziiert ist. Ein verbessertes Gesamtüberleben und eine verminderte AML-Progression bei Patienten unter Eisenchelation konnte jetzt auch eine aktuelle Analyse von Registerdaten aus Düsseldorf bestätigen (Abb. 2) [11].

Prof. Gattermann verwies in diesem Zusammenhang auch auf die in der post-hoc-Analyse der EPIC-Studie unter Eisenchelation mit Deferasirox verzeichneten Blutbildverbesserungen bei 14 Prozent der Patienten für Thrombozyten, 20 Prozent für neutrophile Granulozyten und 23 Prozent für Erythrozyten [12]. Ob Patienten mit Niedrigrisiko-MDS jedoch wirklich von einer Eisenchelation profitieren, muss in prospektiven klinischen Studien geklärt werden.

„Eisenchelation beim MDS wird noch kontrovers diskutiert, der Benefit scheint jedoch zu überwiegen.“ Dr. Catharina Müller-Thomas

Niedrigrisiko-MDS – neue Substanzen und neue Kombinationen mit Azacitidin

Dr. Esther Oliva von der Azienda Ospedaliera B-M-M and Ramon V in Reggio Calabria, Italien präsentierte vorläufige Daten aus der Eltrombopag-Studie für thrombozytopenische Patienten mit Niedrigrisiko-MDS (International Prognostic Scoring System [IPSS] niedrig und intermediär-1) [13]. Im Gegensatz zur Romiplostim-Studie, die wegen Blastenanstieg unter der Behandlung gestoppt wurde, konnte unter Eltrombopag kein Blastenanstieg beobachtet werden. Unter Romiplostim zeigte sich in Woche acht ein vielversprechender Anstieg der Thrombozyten von median 16 G/l auf 120 G/l.

In einer italienischen Studie wurde das Ansprechen auf Azacitidin (75 mg/m², d1–5, q28) bei transfusionsabhängigen, meist EPO-refraktären Patienten mit Niedrigrisiko-MDS untersucht [14]. Nach acht Zyklen Azacitidin lag das Gesamtansprechen bei 58 Prozent (15/26 Patienten), 31 Prozent der Patienten wurden transfusionsunabhängig (8/26). In einer schwedischen Studie mit einem ähnlichen Patientenkollektiv wurden nach sechs Zyklen Azacitidin (75 mg/m², d1–5, q28) 23 Prozent der Patienten (5/22) transfusionsfrei. Einschränkend war in dieser Studie jedoch eine hohe Rate an Infektionen (n = 26) [15]. In einer großen französischen Phase-II-Studie mit 93 transfusionsabhängigen, EPO-refraktären Patienten mit Niedrigrisiko-MDS wurden sechs Zyklen Azacitidin (75 mg/m², d1–5, q28) mit beziehungsweise ohne Epoetin beta (60.000 IU/Woche über 24 Wochen) verabreicht [16]. Die Gesamtansprechrate lag bei 35 Prozent für Azacitidin mono und bei 33 Prozent für Azacitidin mit Epoetin beta, transfusionsfrei wurden 17 Prozent der Patienten unter Azacitidin und 18 Prozent unter Azacitidin mit Epoetin beta. Bei Patienten, die mehr als sechs Zyklen erhalten hatten, waren in der Azacitidin-Gruppe 19 Prozent transfusionsfrei, in der Azacitidin-Epoetin-beta-Gruppe 26 Prozent. Insgesamt bewirkt die Kombination aus Azacitidin und Epoetin beta keine Steigerung des hämatologischen Ansprechens, allerdings traten unter Azacitidin mit Epoetin beta weniger Infekte auf.

Der Stellenwert des Histondeacetylaseinhibitors Panobinostat bei transfusionsabhängigen Patienten mit Niedrigrisiko-MDS (IPSS niedrig und intermediär-1) wurde in einer multizentrischen Studie evaluiert [17]. 30 Patienten erhielten dreimal wöchentlich 40 mg Panobinostat. Wegen schlechter Verträglichkeit (insbesondere Fatigue, Übelkeit, Erbrechen, Thrombozytopenie) musste die Dosis bei 47 Prozent der Patienten reduziert werden. Nach 16 Wochen zeigte sich als bestes Ansprechen bei 71 Prozent der Patienten eine stabile Erkrankung. In Anbetracht des enttäuschenden Ergebnisses werden Folgestudien mit niedrigeren Dosen und in Kombination mit anderen Substanzen geplant.

Fazit:

Die positiven Ergebnisse der Interimsanalyse der Eltrombopag-Studie lassen die erste zielgerichtete Therapie für thrombozytopenische MDS-Patienten in naher Zukunft realistisch werden. Für transfusionsabhängige, EPO-refraktäre Patienten mit Niedrigrisiko-MDS zeichnet sich derzeit keine neue Therapieoption ab.

„Mit Eltrombopag könnte bald eine Therapieoption für thrombozytopenische MDS-Patienten zur Verfügung stehen.“ Dr. Catharina Müller-Thomas

Hochrisiko-MDS und sekundäre AML bei älteren Patienten – Azacitidin und neue Kombinationen mit Cytarabin und Lenalidomid mit vielversprechender Aktivität bei sekundärer AML

In einer noch laufenden Studie des MD Anderson Cancer Centers Houston, USA wurden bisher 17 Patienten mit Hochrisiko-MDS (IPSS intermediär-2 und hoch) oder CMML entweder für 24 Zyklen mit Decitabin (20 mg/m², d1–5) oder abwechselnd mit je drei Zyklen Decitabin (20 mg/m², d1–5) und je drei Zyklen Clofarabin (10 mg/m², d1–5) über insgesamt 24 Zyklen behandelt [18]. Die Gesamtansprechrate für beide Studienarme lag bei 70 Prozent ohne höhere Toxizität unter Clofarabin.

Mehrere Studien beschäftigen sich mit Azacitidin bei einer sekundären AML. In einer schweizerischen Studie wurden 38 Patienten mit einer AML, die sich nicht für eine intensive Chemotherapie qualifizierten, im Median mit sechs Zyklen Azacitidin (100 mg/m², d1–5, q28) behandelt [19]. Es wurde eine Gesamtansprechrate von 23 Prozent (7 CRi, 2 PR) erzielt. Die Hälfte der Patienten (16/38) wurde unter der Therapie transfusionsunabhängig. Das mediane Gesamtüberleben war für transfusionsunabhängige Patienten länger als für transfusionsabhängige (11,1 Monate vs. 5,0 Monate) (Abb. 3).

In einer französischen Studie wurden 39 Patienten mit einer AML mit Azacitidin (75 mg/m², d1–7, q28) behandelt [20]. Nach sechs Zyklen lag die Gesamtansprechrate bei 31 Prozent, das mediane Gesamtüberleben lag bei Azacitidin als Erstlinientherapie bei 15,5 Monaten und bei Azacitidin nach Vortherapien bei sechs Monaten. Ähnlich wie in der schweizerischen Studie sank unter Azacitidin der Transfusionsbedarf sowohl für Erythrozyten als auch für Thrombozyten.

Abb. 3: Patienten mit einer sekundären AML in der Erstlinientherapie mit Azacitidin wiesen ein besseres Gesamtüberleben auf als Patienten, die bereits chemotherapeutisch vortherapiert waren. (modifiziert nach Michallet M et al. Presented at Poster Session II, Acute Myeloid Leukemia – Clinical 4, EHA 2012, Amsterdam, Abstract 0675 [20]).

 

„Von Azacitidin profitieren auch AML-Patienten, für die eine intensive Chemotherapie nicht infrage kommt.“ Dr. Catharina Müller-Thomas

Niedrig dosiertes Cytarabin in Kombination mit oralem Clofarabin oder Lenalidomid zeigte positive Ergebnisse in der Behandlung von älteren Patienten mit AML. In einer US-amerikanischen Studie wurden 30 Patienten unter 60 Jahren mit einem Hochrisiko-MDS oder einer refraktären AML mit oralem Clofarabin (20 mg, d1–5) und Cytarabin (subkutan: 20 mg x 2, d1–10 oder 20 mg/m², d1–14) therapiert [21]. Es konnte eine Ansprechrate von 33 Prozent mit einer Ansprechdauer von vier Monaten erreicht werden. Dabei erlangten 23 Prozent eine komplette Remission (CR) und zehn Prozent eine komplette Remission mit inkompletter hämatologischer Regeneration (Cri).

In einer italienischen Phase-II-Studie erhielten 33 ältere Patienten (älter als 70 Jahre) mit einer AML (13 de novo, 20 sekundär) eine Kombinationstherapie aus Lenalidomid (10 mg, d1–21) und Cytarabin (20 mg/m² x 2, d1–15, subkutan); es wurden maximal sechs Zyklen im sechswöchigem Rhythmus verabreicht [22]. Von den 26 auswertbaren Patienten erzielten elf (42 Prozent) eine CR. Nach einer Nachbeobachtungszeit von 13 Monaten lebten noch acht der elf Patienten (73 Prozent). Niedrigdosiertes Lenalidomid in Kombination mit niedrigdosiertem Cytarabin scheint somit in diesem Patientenkollektiv mit schlechter Prognose eine therapeutische Möglichkeit zu sein.

Fazit:

Für ältere Patienten mit einer AML, die sich nicht für eine intensive Chemotherapie qualifizieren, ist Azacitidin eine sinnvolle Therapieoption. Darüber hinaus zeigt die Kombination aus niedrig dosiertem Cytarabin und Lenalidomid positive Resultate, die in größeren Studien bestätigt werden sollten.

AML – Azacitidin nach Transplantation?

Die einzige kurative Therapieoption für Patienten mit einem MDS ist die allogene Blutstammzelltransplantation (alloSZT). Aufgrund des fortgeschrittenen Alters oder der Komorbiditäten kommt die alloSZT jedoch nur für wenige Patienten in Betracht. Prof. Gattermann stellte ein neues intensitätsreduziertes Konditionierungsregime vor, das am Universitätsklinikum Düsseldorf entwickelt wurde und mit dem dort gute Erfahrungen gemacht wurden. Die Konditionierung besteht aus dem FLAMSA-Schema (Fludarabin, Hochdosis-Cytarabin, Amsacrin), gefolgt von Antithymozytenglobulin (ATG) und Melphalan [23]. Das Gesamtüberleben für Patienten in kompletter Remission lag nach vier Jahren bei 65 Prozent. Vier Patienten (4/30) rezidivierten und wurden erfolgreich mit Azacitidin und Spenderlymphozyten (DLI) behandelt. Der Stellenwert von Azacitidin mit beziehungsweise ohne DLI nach alloSZT – sowohl im Rezidiv als auch präemptiv – konnte in einigen bereits publizierten Studien gezeigt werden. In einer aktuellen britischen Studie wurden 37 Patienten bis ein Jahr nach erfolgter alloSZT mit Azacitidin (36 mg/m², d1–5, q28) behandelt [24]. Sowohl das Rezidivrisiko (von 16 mit Azacitidin behandelten Patienten waren beim letzten Follow-up 15 in kompletter Remission) als auch das Auftreten von akuter und chronischer Graft-versus-Host-Disease (GvHD) sank unter Azacitidin.

Fazit:

Intensitätsreduzierte Konditionierungsregime ermöglichen einem größeren Patientenkollektiv mit einem MDS die allogene Blutstammzelltransplantation als kurative Therapieoption. Azacitidin nach alloSZT sowohl präemptiv als auch im Rezidiv zeigt gute Ergebnisse, ohne das Risiko für eine GvHD zu erhöhen.

Literatur

  1. Bejar R et al. Clinical effect of point mutations in myelodysplastic syndromes. NEJM 2011;364:2496–506
  2. Yoshida K et al. Frequent pathway mutations of splicing machinery in myelodysplasia. Nature 2011;478:64–69
  3. Damm F et al. Mutations affecting mRNA splicing define distinct clinical phenotypes and correlate with patient outcome in myelodysplastic syndromes. Blood 2012;119:3211–3218
  4. Campbell P.SF3B1. Presented at Hematology-in-Focus, 17th Congress of the EHA, June 14–17, Amsterdam
  5. Malcovati L et al. Clinical significance of SF3B1 mutations in myelodysplastic syndromes and myelodysplastic/myeloproliferative neoplasms. Blood. 2011;118(24):6239–6246
  6. Ambaglio M et al. Effect of SF3B1 mutation on erythroid marrow activity, transfusion iron overload and hepcidin levels in patients with myelodysplastic syndrome. Haematologica 2012;97 (e-S1):260; Abstract 0550
  7. Della Porta MG et al. Multicentre validation of a reproducible flow cytometric score for the diagnosis of low-risk myelodysplastic syndromes: results of a European LeukemiaNET study. Haematologica 2012 Feb 7 [Epub ahead of print]
  8. Wood SM et al. Association of anemia and cognitive dysfunction in patients with acute myelogenous leukemia and myelodysplastic syndrome. Am J Hematol 2011;86(11):950–952
  9. Crawford J et al. Relationship between changes in hemoglobin level and quality of life during chemotherapy in anemic cancer patients receiving epoetin alfa therapy. Cancer 2002 Aug 15;95(4):888-895
  10. Nilsson-Ehle H et al. Quality of life, physical function and MRI T2* in elderly low-risk MDS patients treated to a haemoglobin level of ≥120 g/L with darbepoetin alfa ± filgrastim or erythrocyte transfusions. Eur J Haematol 2011;87:244–252
  11. Neukirchen J et al. The impact of iron chelation therapy on clinical outcomes in real-world lower-risk-patients with myelodysplastci syndromes (MDS): Results from the Düsseldorf Registry. Presented at Poster Session I, Myelodysplastic Syndromes - Clinical, EHA 2012, Amsterdam, Abstract 0359
  12. Gattermann N et al. Hematologic responses with deferasirox therapy in transfusion-dependent myelodysplastic syndromes patients. Haematologica. 2012 Mar 14. [Epub ahead of print]
  13. Oliva E et al. Efficacy and Safety of Eltrombopag for the treatment of thrombocytopenia of low and int-1 risk MDS: preliminary results of a prospective, randomized, single-blind placebo-controlled trial. Haematologica 2012; 97 (e-S1):549; Abstract 01138
  14. Fili C et al. Prospective phase II study on low-dose 5-azacytidine for treatment of symptomatic patients with low/int-1 risk myelodysplasia. Presented at Poster Session I, Myelodysplastic Syndromes - Biology, EHA 2012, Amsterdam, Abstract 0321
  15. Tobiasson M et al. Evaluation of Azacitidine in transfusion-dependent, epo-refractory patients with lower-risk MDS. Presented at Poster Session I, Myelodysplastic Syndromes - Clinical, EHA 2012, Amsterdam, Abstract 0349
  16. Gardin C et al. Results of a phase II trial of azacitidine (AZA)+/-epoetin beta (EPO) in lower risk MDS. Presented at Poster Session II, Myelodysplastic Syndromes – Clinical 2, EHA 2012, Amsterdam, Abstract 0874
  17. Platzbecker U et al. Single agent HDAC-inhibition with panobinostat (LBH589) has very limited activity in transfusion dependent low or int-1 MDS patients – results of the GEPARD trial of the german MDS study group. Presented at Poster Session II, Myelodysplastic Syndromes – Clinical 2, EHA 2012, Amsterdam, Abstract 0880
  18. Faderl G et al. A randomized study of decitabine alternating with clofarabine versus decitabine alone in patients with higher-risk myelodysplastic syndrome (MDS). Presented at Poster Session II, Myelodysplastic Syndromes – Clinical 3, EHA 2012, Amsterdam, Abstract 0894
  19. Gavillet M et al. Transfusion independence and survival in patients with acute myeloid leukaemia treated with 5-azacytidine. Presented at Poster Session II, Acute Myeloid Leukemia – Clinical 3, EHA 2012, Amsterdam, Abstract 0655
  20. Michallet M et al. Azacitidine for treatment of myelodysplastic syndromes and acute myeloid leukemia. A single center experience. Presented at Poster Session II, Acute Myeloid Leukemia – Clinical 4, EHA 2012, Amsterdam, Abstract 0675
  21. Pagel JM et al. Study of oral clofarabine plus low-dose cytarabine in previously treated AML and high-risk MDS patients at least 60 years of age. Presented at Poster Session I, Acute Myeloid Leukemia – Clinical , EHA 2012, Amsterdam, Abstract 0072
  22. Visani G et al. Low-dose lenalidomide plus low-dose cytarabine induces long-lasting complete remissions in very elderly acute myeloid leukemia patients with unfavorable karyotype. Presented at Poster Session I, Acute Myeloid Leukemia – Clinical , EHA 2012, Amsterdam, Abstract 0057
  23. Saure C et al. Upfront allogeneic blood stem cell transplantation for patients with high-risk myelodysplastic syndrome or secondary acute myeloid leukemia using a FLAMSA-based high-dose sequential conditioning regimen. Biol Blood Marrow Transplant 2012;18(3):466–72
  24. Craddock C et al. Azacitidine is well tolerated after allogeneic stem cell transplantation and its administration is associated with a reduced risk of acute graft-versus-host disease. Haematologica 2012; 97 (e-S1); Abstract 0054