ICML 2019

18. bis 22. Juni, Lugano

Vom 18. bis 22. Juni 2019 fand in Lugano die 15. International Conference on Malignant Lymphoma (ICML) statt. Der Fokus der diesjährigen Veranstaltung war klar auf die Zukunft gerichtet. Die Weiterentwicklung bewährter Therapiealgorithmen und die Umsetzung neuer Ideen standen auf dem Programm. So konnten die renommierten Experten aus aller Welt sehr interessante und zielführende Diskussionen anregen und bereichern. Gewinnen Sie anhand des vorliegenden Expertenberichts tiefere Einblicke in die spannenden Zukunftsperspektiven auf dem Gebiet der malignen Lymphome.

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Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich freue mich sehr, Ihnen eine Auswahl der interessantesten Beiträge von der 15. International Conference on Malignant Lymphoma (ICML), die vom 18. bis 22. Juni in Lugano stattfand, vorzustellen.

Die zentralen Themen der diesjährigen Tagung waren unter anderem die Erweiterung bestehender Therapiealgorithmen durch neue Substanzen und die Etablierung chemotherapiefreier Protokolle. Die allgegenwärtigen CAR-T-Zellen gewinnen bei den malignen Lymphomen zunehmend an Gewicht.

Ich hoffe, Ihnen mit meinem Bericht ein breitgefächertes inhaltliches Spektrum anbieten zu können und Sie auch zum Überdenken der klinischen Gewohnheiten anzuregen. Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre.

Mit kollegialen Grüßen

Prof. Dr. med. Kai Hübel, Klinik I für Innere Medizin, Universitätsklinikum Köln

Maligne Lymphome – neue Substanzen und Kombinationen erweitern die therapeutischen Möglichkeiten

Prof. Dr. med. Kai Hübel, Klinik I für Innere Medizin, Universitätsklinikum Köln

Bereits seit einigen Jahren wird versucht, etablierte Therapiealgorithmen durch den Einsatz zielgerichteter Substanzen zu ergänzen und somit die Prognose von Patienten mit malignen Lymphomen zu verbessern. Bewährte Chemotherapieregime werden hinterfragt, chemotherapiefreie Protokolle geprüft und etabliert. Diese Entwicklung hat sich mit vielversprechenden Ergebnissen sowohl in der Erstlinie als auch im Rezidiv auch auf der diesjährigen „International Conference on Malignant Lymphoma“ (ICML) in Lugano gezeigt.

Diffus großzelliges B-Zell-Lymphom

Im Fokus des Interesses beim diffus großzelligen B-Zell-Lymphom (DLBCL) steht weiterhin die Ergänzung der klassischen Chemotherapie durch Substanzen, die gezielt die Tumorzelle ausschalten oder das Mikromilieu der Lymphomzelle beeinflussen, auch wenn zahlreiche Studien mit diesem Ansatz in der Vergangenheit nicht überzeugen konnten. In der Plenary Session der ICML wurden gleich 2 Studien vorgestellt, die in der Erstlinie des DLBCL das bekannte R-CHOP-Regime (Cyclophosphamid+Doxorubicin od. Adriamycin+Vincristin+Predniso[lo]n+Rituximab) mit Lenalidomid kombinierten (sogenanntes „R2-CHOP“-Regime). In der ROBUST-Studie (NCT02285062), einer internationalen Phase-III-Studie, wurde R2-CHOP mit Placebo/R-CHOP verglichen [1]. Eingeschlossen wurden nur Patienten mit „Activated B-cell-like“(ABC-)-Lymphomen, also mit einem Subtyp des DLBCL mit schlechter Prognose, aber laut unkontrollierter Studien gutem Ansprechen auf Lenalidomid [2]. Insgesamt wurden 285 Patienten pro Arm behandelt, es bestanden keine wesentlichen Unterschiede in den Patientencharakteristika zwischen beiden Armen. Letztlich ergaben sich in Bezug auf das Ansprechen, auf das progressionsfreie Überleben (PFS) – welches das primäre Zielkriterium war (Abb. 1) (HR = 0,85; 95-%-Konfidenzintervall [95-%-KI]: 0,63─1,14; p = 0,29) – auf das ereignisfreie Überleben (EFS) und auf das Gesamtüberleben (OS) keine Unterschiede zwischen beiden Armen.

Abb. 1: ROBUST-Studie: Bei der Therapie mit R²-CHOP versus Placebo/R-CHOP ergibt sich kein signifikanter Unterschied für das progressionsfreie Überleben (PFS) bei Patienten mit ABC-Lymphomen (modifiziert nach [1]).

Bei Patienten mit einem internationalen prognostischen Index (IPI) > 3 zeigte sich ein Trend zu einem verbesserten PFS mit R2-CHOP. Unerwartete Sicherheitssignale traten nicht auf.

Im nachfolgenden Vortrag wurde im Rahmen einer Phase-II-US-Intergroup-Studie, der ECOG-ACRIN1412-Studie (E1412), ein vergleichbarer Ansatz gewählt, allerdings wurden in diese Studie alle Subtypen des DLBCL eingeschlossen [3]. Insgesamt 349 Patienten wurden 1 : 1 zwischen R2-CHOP und R-CHOP randomisiert. Bezüglich der Ansprechraten und des OS zeigten sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den Armen. Das 2-Jahres-PFS konnte aber von 70% mit R-CHOP auf 76% mit R2-CHOP verbessert werden (HR = 0,66; 80-%-KI: 0,50─0,88; p = 0,03) (Abb. 2). Dadurch wird eine Risikoreduktion in Bezug auf Progression oder Tod um 34% durch R2-CHOP gegenüber R-CHOP erreicht.
Abb. 2: ECOG-ACRIN1412-Studie: Unter der Therapie mit R²-CHOP verbessert sich das progressionsfreie Überleben (PFS) signifikant im Vergleich zur Therapie mit R-CHOP (modifiziert nach [3]).

In der Subgruppe der ABC-Lymphome zeigt sich dieser Unterschied jedoch nicht. Wie sind diese scheinbar widersprüchlichen Ergebnisse beider Studien zu erklären? Es muss beachtet werden, dass beide Studien klare Unterschiede aufweisen, zum Beispiel was die Lenalidomid-Dosierung (ROBUST-Studie: Lenalidomid 15 mg Tag 1–14, alle 21 Tage, 6 Zyklen; ECOG-ACRIN-Studie: Lenalidomid 25 mg Tag 1–10, alle 21 Tage, 6 Zyklen), das Zeitintervall zwischen der Diagnose und dem Studienstart oder auch die eingeschlossenen Subtypen betrifft. Somit ist ein Vergleich nur schwer möglich.

In einer Phase-III-Studie (NTR1014) der niederländischen HOVON-Studiengruppe (HOVON = Hemato-Oncologie voor Volwassenen Nederland) in Kooperation mit der Nordic Lymphoma Group wurde der Stellenwert der Rituximab-Erhaltungstherapie in der Erstlinie des DLBCL (Stadium II–IV) untersucht [4]. Es handelt sich um den 2. Teil einer Studie, in der insgesamt 398 Patienten in Komplettremission (CR) nach 8 Zyklen R-CHOP 1 : 1 zwischen einer 2-jährigen Rituximab-Erhaltungstherapie (Rituximab wurde alle 8 Wochen verabreicht) und einem Beobachtungsarm randomisiert wurden. Nach 5 Jahren waren sowohl das erkrankungsfreie Überleben (DFS) (79% im Erhaltungsarm und 74% im Beobachtungsarm) als auch das OS (Erhaltungsarm: 85%; Beobachtungsarm: 83%) ähnlich.

Schließlich soll noch auf einen interessanten Ansatz beim primär mediastinalen B-Zell-Lymphom (PMBCL), einem Subtyp des DLBCL, aufmerksam gemacht werden. Das PMBCL betrifft überwiegend junge Patienten und kann in der Erstlinie gut behandelt werden. Für die Rezidivsituation sind jedoch dringend neue Therapieansätze notwendig, um die Prognose zu verbessern. In der vorgestellten Subgruppenanalyse der CheckMate-436-Phase-II-Studie (NCT02581631) wurde eine chemotherapiefreie Kombination aus Nivolumab, einem PD-1-spezifischen humanisierten monoklonalen Immunglobulin-G4(IgG4)-, und Brentuximab Vedotin eingesetzt [5]. Die Rationale für das Projekt ist die Expression von PD-1(Programmed Cell Death Protein 1)-Liganden und CD30 beim PMBCL sowie die guten Erfahrungen mit dieser Kombination beim Hodgkin-Lymphom. Insgesamt wurden 30 Patienten in die Studie eingeschlossen, das mediane Alter der Patienten war mit 35,5 Jahren erwartungsgemäß jung. Im Median hatten die Patienten bereits 2 Therapielinien durchlaufen. Die Gesamtansprechrate (ORR) betrug 73%, davon erreichten 37% der Patienten eine komplette Remission (CR). Die mediane Dauer des Ansprechens wurde nach einer medianen Beobachtungszeit von 11,1 Monaten noch nicht erreicht. Die wichtigsten therapiebedingten, unerwünschten Ereignisse Grad 3/4 waren die Neutropenie (30%), die Thrombopenie (10%) sowie die Polyneuropathie (10%).

Fazit

  • Auch wenn die ROBUST-Studie keine Überlegenheit von R²-CHOP gegenüber R-CHOP gezeigt hat, lohnt es sich, diesen Ansatz in Bezug auf klar definierte Subgruppen weiterzuentwickeln. Des Weiteren muss der Stellenwert von Lenalidomid bei ABC-Lymphomen neu untersucht werden.
  • Mit dem klaren Ergebnis der aussagekräftigen HOVON-Nordic-Lymphoma-Group-Studie ist der immer wieder diskutierte Stellenwert einer Rituximab-Erhaltungstherapie beim DLBCL endgültig widerlegt.
  • Auch wenn es sich um vorläufige Ergebnisse handelt, verdient die Subgruppenanalyse der CheckMate-436-Studie aufgrund des Verzichts auf eine Chemotherapie und der vielversprechenden Ergebnisse in einer problematischen Krankheitssituation Beachtung.

“Die Einführung neuer Substanzen in die Therapie des DLBCL bleibt problematisch, noch genau zu definierende Subgruppen könnten jedoch profitieren.” Prof. Dr. med. Kai Hübel

Mantelzelllymphom

In den letzten Jahren konnte anhand großer, randomisierter Phase-III-Studien gezeigt werden, dass der CD20-Antikörper Obinutuzumab in der Erstlinie des follikulären Lymphoms (FL) dem CD20-Antikörper Rituximab in der Effektivität überlegen ist (GALLIUM-Studie) [6], während sich ein solcher Effekt beim DLBCL nicht zeigte (GOYA-Studie) [7]. Der Stellenwert von Obinutuzumab beim Mantelzelllymphom (MCL) ist dagegen weiterhin unklar. Die französische LYSA-Studiengruppe setzte in ihrer LYMA-101-Studie die Kombination von 4 Zyklen Obinutuzumab-DHAP(Dexamethason+hochdosiertes Ara-C+Cisplatin) (O-DHAP) mit nachfolgender Hochdosistherapie und 3-jähriger Obinutuzumab-Erhaltungstherapie bei nichtvorbehandelten Patienten mit MCL ein [8]. Es konnten nur Patienten unter 66 Jahren eingeschlossen werden, das primäre Zielkriterium war das Erreichen einer MRD-Negativität bei mindestens 70% der Patienten nach 4 Zyklen O-DHAP. Der Wert von 70% entspricht ungefähr der Rate, die bei der Behandlung mit Rituximab erwartet wird. Es konnten die Daten von 73 Patienten ausgewertet werden. Davon erreichten 84,9% eine MRD-Negativität. Das 1-Jahres-PFS betrug 93,4%, das 1-Jahres-OS 96%. Die mediane Follow-up-Zeit war mit 14 Monaten allerdings noch sehr kurz.

Fazit

  • Die Kombination von Obinutuzumab und DHAP beim Mantelzelllymphom ist wirksam, eine Überlegenheit gegenüber Rituximab konnte die LYMA-101-Studie (noch) nicht zeigen.

“Der genaue Stellenwert von Obinutuzumab beim MCL bleibt weiterhin unklar.“ Prof. Dr. med. Kai Hübel

Follikuläres Lymphom

Beim follikulären Lymphom (FL) stehen spätestens seit dem letzten ASH-Kongress die Daten zur Kombination von Lenalidomid und Rituximab (R2) in der Rezidivsituation im Fokus der Aufmerksamkeit. Die AUGMENT-Studie verglich an 358 Patienten mit indolentem Lymphom ab der 2. Therapielinie randomisiert R2 mit dem Einsatz von Rituximab und Placebo und kam zu einem klaren Ergebnis zugunsten von R2 [9, 10]. Nach einer medianen Beobachtungszeit von 28,3 Monaten war R2 gegenüber Rituximab+Placebo bezüglich der Ansprechrate sowie dem primären Endpunkt PFS deutlich überlegen (HR = 0,46; 95-%-KI: 0,34─0,62; p < 0,001). Auch beim OS der Patienten mit FL zeigte sich ein signifikanter Vorteil zugunsten von R2 (HR: 0,45; 95-%-KI: 0,22─0,92; p = 0,02). Unerwartete Sicherheitsaspekte traten nicht auf. Auf Basis dieser Daten ist die Zulassung für R2 für das rezidivierte FL und auch für das Marginalzonenlymphom in den USA erfolgt und wird in der EU erwartet.

Um das therapeutische Potenzial von R2 genauer beurteilen zu können, sind insbesondere die Subgruppenanalysen der AUGMENT-Studie interessant. Insgesamt 3 solcher Subgruppen wurden nun auf der ICML vorgestellt und sollen daher hier kurz angesprochen werden.

Die erste Subgruppenanalyse zielte auf die sogenannten POD24-Patienten ab. Hierbei handelt es sich um Patienten, die innerhalb der ersten 24 Monate nach Erstdiagnose eine Progression auf die Erstlinientherapie oder ein Rezidiv erleiden. Diese Patienten haben eine besonders ungünstige Prognose [11]. In der AUGMENT-Studie wurden 56 Patienten (R2-Arm) beziehungsweise 57 Patienten (R-Placebo-Arm) identifiziert, die zum POD24-Kollektiv zählten [12]. Dabei zeigte sich, dass sich die sehr guten Daten des Gesamtkollektivs von R2 gegenüber R-Placebo auch bei den POD24-Patienten bestätigen. Die CR-Rate betrug bei den POD24-Patienten unter R2 30% und unter R-Placebo 18%. Dies übertrug sich auch auf das PFS (HR: 0,41; 95-%-KI: 0,24–0,68; p = 0,0004). Die folgende Abbildung zeigt das PFS für das Gesamtkollektiv, für die POD24-Patienten sowie für die Spätrezidive (entspricht den Patienten ohne POD24):

Abb. 3: AUGMENT-Studie: Subgruppenanalyse der Patienten mit POD24. Für das progressionsfreie Überleben (PFS) zeigen sich signifikante Unterschiede zwischen R² und R-Placebo für alle Gruppen (Gesamtkollektiv, Patienten mit POD24, Patienten ohne POD24) (modifiziert nach [12]).

Damit konnte R2 gegenüber R-Placebo das Risiko für Progress oder Tod im Kollektiv der POD24-Patienten um 59% reduzieren.

In einer weiteren Arbeit [13] wurde geprüft, wie sich die unterschiedlichen Therapien in beiden Armen auf die Sensitivität gegenüber einer Nachfolgetherapie auswirken. Dabei zeigte sich, dass 74% der Patienten mit R2 und 57% der Patienten mit R-Placebo bisher noch keine nachfolgende Therapie benötigen. Unter den Patienten mit einer Folgetherapie zeigte sich ein signifikant verbessertes PFS (sogenanntes PFS2) im R2-Arm verglichen mit R-Placebo (HR: 0,52; 95-%-KI: 0,32─0,82). Ursächlich für diese Beobachtung scheint der vielfältige, u.a. immunmodulatorische Wirkmechanismus von R2 zu sein.

Schließlich wurden noch Daten vorgestellt, die eine vergleichbare Lebensqualität in beiden Armen der AUGMENT-Studie belegen [14].

Nicht direkt zulassungsrelevant, aber mindestens genauso interessant ist die MAGNIFY-Studie, die ebenfalls R2 mit nachfolgender Erhaltungstherapie im Rezidiv indolenter Lymphome einsetzt und für die bisher die Daten von 370 Patienten ausgewertet werden konnten. In der vorgestellten Arbeit wurden Daten zur Induktionstherapie mit R2 präsentiert [15]. Dabei wurde die gute Aktivität der Kombination in Bezug auf Frührezidive und doppelt refraktäre Patienten (refraktär auf Chemotherapie und Antikörper) bestätigt. Interessant waren auch die Daten zu Rituximab-refraktären Patienten: Die ORR lag bei 63% (davon 40% CR), das mediane PFS (mPFS) bei 18,1%.

Es sei noch auf einen weiteren innovativen Ansatz beim rezidivierten FL hingewiesen – und zwar auf die Kombination aus Polatuzumab Vedotin (einem Immunkonjugat gegen CD79b), Obinutuzumab und Lenalidomid. Vorgestellt wurde die Zwischenauswertung einer Phase-Ib/II-Studie (NCT02600897) an 52 Patienten. Davon waren 18 Patienten bezüglich der Effektivität auswertbar [16]. Die mediane Anzahl an Vortherapien betrug 3. 50% der Patienten waren refraktär auf die letzte Therapie. Trotz dieser ungünstigen Voraussetzungen erreichten 89% der Patienten ein Ansprechen, davon erreichten 67% eine CR. Nach einem Jahr waren 90% der Patienten ohne Progression. Wesentliche Toxizitäten Grad 3/4 waren die Neutropenie (46%), die Thrombopenie (17%), die Anämie (12%) sowie Infektionen (12%).

Fazit

  • Die vorgestellten Daten zur AUGMENT- und MAGNIFY-Studie zeigen nicht nur eine hervorragende Aktivität der Kombination von Lenalidomid/Rituximab im Gesamtkollektiv der rezidivierten follikulären Lymphome, sondern sie belegen auch eine gute Effizienz bei Risikogruppen wie Frührezidiven oder Rituximab-refraktären Patienten.
  • Auch wenn die Ergebnisse noch sehr vorläufig sind, zeichnet sich mit der Kombination aus Polatuzumab Vedotin, Obinutuzumab und Lenalidomid eine weitere effektive Rezidivtherapie beim follikulären Lymphom ab.

“Durch die erwartete Zulassung von Lenalidomid/Rituximab beim rezidivierten follikulären Lymphom werden sich die Behandlungsoptionen entscheidend verbessern.“ Prof. Dr. med. Kai Hübel

Chronisch lymphatische Leukämie

Die chronisch lymphatische Leukämie (CLL) ist sicher eine der Lymphomerkrankungen, bei der der Einsatz von neuen und zielgerichteten Substanzen den größten Fortschritt verzeichnet. Dies hat sich auch auf der ICML gezeigt.

Im Rahmen der Plenary Session wurden die Daten der CLL-12-Studie der Deutschen CLL-Studiengruppe vorgestellt [17]. Diese randomisierte, doppelt verblindete Phase-III-Studie versucht die Frage zu klären, ob bei Patienten mit unbehandelter, asymptomatischer CLL im frühen Stadium (Binet A) eine Therapie mit Ibrutinib gegenüber Placebo einen Stellenwert besitzt. Frühere Arbeiten konnten zeigen, dass eine Immunchemotherapie in diesem Stadium ohne Einfluss auf das OS ist. In dieser Studie wurden Patienten im Binet-A-Stadium mit einem mittleren oder höheren Risikoprofil 1 : 1 randomisiert zwischen Ibrutinib in der Standarddosierung (n = 182) und Placebo (n = 181). Patienten mit einem niedrigen Risiko wurden weiterhin nur beobachtet. Die mediane Behandlungsdauer betrug 31 Monate. Bezüglich des primären Endpunktes EFS zeigte sich ein klarer Vorteil zugunsten der Behandlung mit Ibrutinib gegenüber Placebo (NE [nicht erreicht] versus 47,8 Monate; HR = 0,248; 95-%-KI: 0,14─0,43; p < 0,0001), wie die folgende Abbildung zeigt:

Abb. 4: CLL-12-Studie: Unter Therapie mit Ibrutinib ist das ereignisfreie Überleben (EFS) im Vergleich zur Placebogabe bei Patienten mit unbehandelter, asymptomatischer chronisch lymphatischer Leukämie (CLL) im frühen Stadium deutlich verlängert (modifiziert nach [17]).

Ein vergleichbar deutlicher Unterschied zeigte sich auch bezüglich des PFS (NE versus 14,8 Monate; HR = 0,18; 95-%-KI: 0,12─0,27) und der Zeit bis zur nächsten Therapie. Daten zum OS liegen noch nicht vor. Gerade bei der Frage nach einer möglichen Behandlung von asymptomatischen CLL-Patienten sind natürlich die Nebenwirkungen von Interesse. In der Gesamtanzahl an Nebenwirkungen waren beide Arme vergleichbar, dennoch traten bei 18 von 185 Patienten unter Ibrutinib kardiale Arrhythmien und bei 8 von 185 Patienten Blutungsereignisse auf, die zu Therapieunterbrechungen führten. Beide Ereignisse waren auch der häufigste Grund für Therapieabbrüche unter Ibrutinib. Interessanterweise fanden sich keine Unterschiede zwischen beiden Armen bezüglich infektiöser Ereignisse (Ibrutinib: 11,4% versus Placebo: 11,8%).

Eine weitere wichtige Arbeit, die auch unmittelbar die Leitlinien verändern kann, ist die CLL-14-Studie (NCT02242942) [18]. Sie fokussierte auf unbehandelte, komorbide Patienten (der sogenannte CIRS[Cumulative Illness Rating Scale]-Score musste > 6 sein oder die Patienten mussten eine Störung der Nierenfunktion aufweisen). Daher lag erwartungsgemäß das mediane Alter der Patienten bei über 70 Jahren. Die Standardbehandlung für diese Patienten besteht aus einer Kombination aus Chlorambucil und Obinutuzumab (ClbG). Diese Therapie wurde in einem kontrollierten, randomisierten Phase-III-Design einer experimentellen, chemotherapiefreien Behandlung mit Venetoclax plus Obinutuzumab (VenG) gegenübergestellt. Dabei ist wichtig, dass die Therapie nach 12 Monaten beendet wurde, wobei in den letzten 6 Monaten nur noch Chlorambucil beziehungsweise Venetoclax verabreicht wurde. Pro Arm wurden mehr als 200 Patienten eingeschlossen. Das Ergebnis nach einer medianen Follow-up-Zeit von 28 Monaten war eindeutig: Bezüglich des primären Endpunktes PFS verliefen die Kurven klar zugunsten von VenG (88,2% versus 64,1%; HR = 0,35; 95-%-KI: 0,23─0,53). Auch waren 3 und 12 Monate nach Therapieende hochsignifikant mehr Patienten unter VenG MRD-negativ im Vergleich zur Therapie mit ClbG (81,2% versus 27,3%; HR = 0,19; 95-%-KI: 0,12─0,30).

In einer Subgruppenanalyse der CLL-14-Studie wurden nur die Patienten prospektiv untersucht, die einen komplex aberranten Karyotyp (CKT, definiert durch mindestens 3 Veränderungen) und somit ein Hochrisikoprofil aufwiesen [19]. Es konnten 17% (VenG) beziehungsweise 15% (ClbG) entsprechende Patienten identifiziert werden. Bezüglich des PFS-Verlaufes ergaben sich im VenG-Arm keine signifikanten Veränderungen gegenüber Patienten ohne komplex aberranten Karyotyp (NCKT). Im ClbG-Arm hingegen verlief das PFS signifikant ungünstiger (mPFS CKT versus NCKT: 19 Monate versus NE; HR = 2,790; 95-%-KI: 1,631─4,772; p < 0,001). Somit konnte Venetoclax diesen ungünstigen prognostischen Faktor überwinden.

Zum Schluss soll noch auf eine interessante Studie zur Therapie mit chimären Antigenrezeptor-T-Zellen (CAR-T-Zellen) aufmerksam gemacht werden. Diese Therapie, also die autologe Reinfusion entsprechend modifizierter T-Zellen, erfährt derzeit große Aufmerksamkeit, insbesondere bei aggressiven Lymphomen und akuten lymphatischen Leukämien, und hat das Potenzial, die Prognose im Rezidiv deutlich zu verbessern. Erste Zulassungen sind auch in Deutschland erfolgt. Auf der ICML wurde eine CAR-T-Studie (TRANSCEND-CLL-004-Studie) bei Vorliegen einer CLL vorgestellt [20]. Eingesetzt wurde das gegen CD19 gerichtete Konstrukt Lisocabtagen Maraleucel (liso-cel). Aufgrund der im Gegensatz zu anderen B-Zell-Neoplasien häufig hohen Tumorlast bei Patienten mit CLL im peripheren Blut und im Knochenmark handelte es sich zunächst um eine Dosisfindungsstudie, die dann als Phase-II-Studie weitergeführt wurde. Insgesamt wurden bisher 16 Patienten eingeschlossen, davon wiesen 75% Hochrisikomerkmale auf. Die Patienten hatten die üblichen CLL-Therapien durchlaufen. Alle Patienten waren mit Ibrutinib vorbehandelt und die Hälfte der Patienten hatte auch bereits Venetoclax erhalten. Als Nebenwirkungen traten vor allem hämatologische Toxizitäten auf. Ein Patient entwickelte ein Grad-3-Cytokine-Release-Syndrom (CRS) und 3 Patienten neurologische Nebenwirkungen Grad 3. Alle Nebenwirkungen waren beherrschbar. Die ORR lag bei 87%, die CR-Rate betrug 47%. An Tag 30 waren 67% der Patienten im peripheren Blut MRD-negativ.

Fazit

  • Diese spannenden Daten der CLL-12-Studie können dazu führen, dass zukünftig asymptomatische CLL-Patienten im Stadium Binet A bei Vorliegen von Risikofaktoren eine Behandlung mit Ibrutinib erhalten. Bevor jedoch eine Änderung der Therapieempfehlung erfolgt, sollten die Überlebensdaten abgewartet werden.
  • Die CLL-14-Studie definiert mit Venetoclax und Obinutuzumab und einer fixen Therapiedauer einen neuen Standard in der Erstlinienbehandlung komorbider Patienten mit CLL.
  • Diese vorläufigen Ergebnisse der TRANSCEND-CLL-004-Studie deuten darauf hin, dass die CAR-T-Zell-Therapie auch bei ausbehandelten Patienten mit CLL noch eine erfolgreiche Therapieoption darstellen könnte.

“Auch dieser Kongress konnte zeigen, dass die Einführung neuer Therapieoptionen bei der CLL besonders gut gelingt.” Prof. Dr. med. Kai Hübel

Quellen

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  2. Hernandez-Ilizaliturri FJ et al. Higher response to lenalidomide in relapsed/refractory diffuse large B-cell lymphoma in nongerminal center B-cell-like than in germinal center B-cell-like phenotype. Cancer 2011; 117: 5058-5066.
  3. Nowakowski G et al. Addition of Lenalidomide to R-CHOP (R²CHOP) Improves Outcomes in Newly Diagnosed Diffuse Large B-Cell Lymphoma (DLBCL): First Report of ECOG-ACRIN1412 a Randomized Phase 2 US Intergroup Study of R²CHOP vs CHOP. Presented at Oral Presentation: Plenary Session, ICML 2019, Lugano, abstract 6.
  4. Lugtenburg P et al. Rituximab Maintenance for Patients with Diffuse Large B-Cell Lymphoma in First Complete Remission: Results from a Randomized HOVON-Nordic Lymphoma Group Phase III Study. Oral Presentations: Session 2 - DLBCL: Clinical Data, ICML 2019, Lugano, abstract 43.
  5. Zinzani P et al. Nivolumab Combined with Brentuximab Vedotin for Relapsed/Refractory Primary Mediastinal Large B-Cell Lymphoma: Efficacy and Safety from the Phase 2 CHECKMATE 436 Study. Presented at Oral Presentations: Session 9 - Extranodal Lymphomas, ICML 2019, Lugano, abstract 108.
  6. Marcus R et al. Obinutuzumab for the First-Line Treatment of Follicular Lymphoma. N Engl J Med 2017; 377: 1331-1344
  7. Vitolo U et al. Obinutuzumab or Rituximab Plus Cyclophosphamide, Doxorubicin, Vincristine, and Prednisone in Previously Untreated Diffuse Large B-Cell Lymphoma. J Clin Oncol 2017; 35: 3529-3537.
  8. Le Gouill S et al. Obinutuzumab Plus DHAP Followed by Autologous Stem Cell Transplantation (ASCT) PLus Obinutuzumab Maintenance Provides a High MRD Response Rate in Untreated MCL Patients. Results of LYMA-101 Trial, a LYSA Group Study. Oral Presentations: "Focus on..." Sessions - Mantle Cell Lymphoma, ICML 2019, Lugano, abstract 14. .
  9. Leonard JP et al. AUGMENT: A Phase III Randomized Study of Lenalidomide Plus Rituximab (R<sup>2</sup>) Vs Rituximab/Placebo in Patients with Relapsed/Refractory Indolent Non-Hodgkin Lymphoma. Blood 2018; 132: 445-445.
  10. Leonard JP et al. AUGMENT: A Phase III Study of Lenalidomide Plus Rituximab Versus Placebo Plus Rituximab in Relapsed or Refractory Indolent Lymphoma. J Clin Oncol 2019; 37: 1188-1199.
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  14. Leonard J et al. Health-Related Quality of Life (HRQoL) in Relapsed/Refractory (R/R) Indolent NHL in the Phase 3 AUGMENT trial of Rituximab (R) Plus Lenalidomide (R²) Versus R Plus Placebo. Presented at Poster Session: Indolent Lymphomas, ICML 2019, Lugano, abstract 181.
  15. Sharman J et al. Interim Analysis of Phase IIIB MAGNIFY Study of Induction R² Followed by Maintenance in Patients with Relapsed/Refractory Indolent Non-Hodgkin Lymphoma. Oral Presentation: "Focus on..." Sessions - Chemotherapy-Free Strategies, ICML 2019, Lugano, abstract 70.
  16. Diefenbach C et al. Polatuzumab Vedotin (POLA) + Obinutuzumab (G) + Lenalidomide (LEN) in Patients (PTS) with Relapsed/Refractory (R/R) Follicular Lymphoma (FL): Phase IB/II Interim Analysis. Presented at Oral Presentations: Session 11 - New Drug Combinations, ICML 2019, Lugano, abstract 126. .
  17. Langerbeins P et al. Ibrutinib Versus Placebo in Patients with Asymptomatic, Treatment-Naive Early Stage CLL: Primary Endpoint Results of the Phase 3 Double-Blind Randomized CLL12 Trial. Presented at Oral Presentations: Plenary Session, ICML 2019, Lugano, abstract 7.
  18. Fischer K et al. Fixed-Duration Venetoclax Plus Obinutuzumab Improves PFS and Minimal Residual Disease Negativity in Patients with Previously Untreated CLL and Comorbidities. Presented at Oral Presentations: Session 3 - CLL, ICML 2019, Lugano, abstract 46.
  19. Al-Sawaf O et al. High Efficacy of Venetoclax Plus Obinutuzumab in Patients with Complex Karyotype (CKT) and Chronic Lymphocytic Leukemia (CLL): A Prospectve Analysis from the CLL14 Trial. Oral Presentations: "Focus on..." Sessions - CLL and More, ICML 2019, Lugano, abstract 62.
  20. Siddiqi T et al. TRANSCEND CLL 004: Minimal Residual Disease after Lisocabtagene Maraleucel in Patients with Relapsed/Refractoy Chronic Lymphocytic Leukemia/Small Lymphocytic Lymphoma. Presented at Oral Presentations: "Focus on..." Sessions - CLL and More, ICML 2019, Lugano, abstract 65.
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