DGHO 2023
13. bis 16. Oktober, Hamburg
- Indolente Lymphome und CLL – Interview mit Dr. Jochen Post
Bei der Jahrestagung der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaften für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DÖSGHO) diskutierten nationale und internationale Experten neue Erkenntnisse im Bereich der Hämatoonkologie, unter anderem ging es um die rasanten technologischen Entwicklungen in der Diagnostik sowie die Innovationen in der multimodalen Therapie.
Anlässlich des Kongresses ist es uns gelungen, mit Herrn Dr. Jochen Post einen ausgewiesenen Experten für ein Interview zu den Themen Lymphome und CLL zu gewinnen. Wir sprachen über die aktuellen klinischen Studien zu immuntherapeutischen Kombinationsansätzen und Zelltherapie-basierten Immuntherapien und darüber, was die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse für die tägliche Arbeit mit den Patienten bedeuten können.
Indolente Lymphome und CLL – Interview mit Dr. Jochen Post
Dr. med. Jochen Post
MVZ OnkoNett, Nettetal
hematooncology.com: Lieber Herr Dr. Post, wenn Sie auf die Jahrestagung der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaften für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DÖSGHO) zurückblicken, was fiel auf dem Gebiet der indolenten Lymphome und der chronisch lymphatischen Leukämie (CLL) besonders auf?
Dr. Jochen Post: Wenn ich das zusammenfassen darf, so ist mein Eindruck, es wird immer komplizierter. Neben der klassischen Chemotherapie, welche immer mehr in den Hintergrund rücken wird, haben wir BCL2(B-Cell Lymphoma 2)-Inhibitoren und Bruton-Tyrosinkinase-Inhibitoren (BTKis), die das therapeutische Arsenal bereichern, aber auch wieder neue Fragen nach der optimalen Erstlinie oder der optimalen Sequenztherapie aufwerfen. Auch bispezifische Antikörper und natürlich die CAR-T-Zellen (CAR-T = chimäre Antigenrezeptor-T-Zelle) werden zunehmend eine Rolle spielen, allerdings zunächst in späteren Linien. Derzeit laufen hierzu spannende Studien oder sie werden momentan aufgelegt.
Wie kompliziert die CLL-Therapie sein kann, zeigte der freie Vortrag von Consuelo Bertossi aus Ulm. Sie und ihre Kollegen hatten anhand von Untersuchungen an Proben von 1.320 CLL-Patienten mit einer TP53-Mutation 1.771 Varianten (einzeln oder mehrfach) identifizieren können [1]. Für diese Arbeit gab es den Young Investigators Award.
hematooncology.com: Auf dem DGHO-Kongress wurde ein Paradigmenwechsel bei den indolenten Lymphomen angekündigt. Was bedeutet das für den klinischen Alltag bzw. den Praxisalltag?
Dr. Jochen Post: Auch beim Mantelzelllymphom (MCL) spielen die BTKis eine zunehmend größere Rolle. Martin Dreyling (München) stellte Daten der TRIANGLE-Studie (NCT02858258) vor [2, 3]. In dieser 3-armigen Studie zeigte die Hinzunahme von Ibrutinib zu R-CHOP (Rituximab+Cyclophosphamid+Doxorubicin+Vincristin+Prednison) und R-DHAP (Rituximab+Dexamethason+Hochdosis-Cytarabin+Cisplatin) plus autologer Stammzelltransplantation (ASCT) und Ibrutinib-Erhaltung eine deutliche Verbesserung des progressionsfreien Überlebens (PFS) in allen Gruppen, auch mit Hochrisikofaktoren (TP53-mutiert, hohes Ki-67). In der Analyse der Fälle mit und ohne ASCT bestand kein Unterschied, sodass laut Dreyling auf eine Transplantation in ausgewählten Fällen verzichtet werden kann. Derzeit ist Ibrutinib in der 1. Linie nicht zugelassen, weswegen für eine solche Therapie ein Antrag bei den Krankenkassen gestellt werden muss.
Beim Rezidiv des follikulären Lymphoms (FL) zeigte die Kombination mit Zanubrutinib plus Obinutuzumab in der ROSEWOOD-Studie (NCT03332017) ein Gesamtansprechen (OR) von 78% und ein PFS von 28 Monaten [4]. Christiane Pott (Kiel) bezeichnete das Regime als neuen Standard in der 2. Linie beim FL [5]. Sie erklärte, dass eine Zulassung für Zanubrutinib in dieser Indikation in Kürze erwartet wird. In der Drittlinie bestehe dann die Möglichkeit der CAR-T-Zell-Therapie. Dadurch werde sich auch das FL zu einer Entität entwickeln, welche chemotherapiefrei behandelt werden könne.
hematooncology.com: Welche Bedeutung hat die Entwicklung von Resistenzmechanismen gegenüber neuen Inhibitoren für sequenzielle Therapieentscheidungen?
Dr. Jochen Post: Johannes Schetelig aus Dresden präsentierte spannende Daten über die klonale Evolution der CLL unter Therapie [6, 7]. Eine solche tritt in hohem Maße unter Venetoclax [8] wie auch unter den BTKis [9] auf. Dies könnte dafür sprechen, in Zukunft zeitlich limitierte Therapien mit Pausen und häufigen Therapiewechseln zu etablieren. Auch ein BTKi-Wechsel kann nach einer Resistenztestung sinnvoll sein. Die klinischen Daten hierzu reichen aber noch nicht aus. Die Resistenzmechanismen sind nach Angaben von Schetelig leider nicht mit denen bei der chronisch myeloischen Leukämie zu vergleichen, wo es zur Elimination eines Klons kommt. Vielmehr sei es eher so, dass mit zunehmender Therapiedauer neue resistente Klone entstünden.
hematooncology.com: Das Kompetenznetz Maligne Lymphome e. V. hat auf der DGHO-Tagung aktuelle Behandlungskonzepte aus den Studiengruppen vorgestellt. Welche praxisrelevanten Neuerungen gab es hinsichtlich der Therapiekonzepte und Therapiealgorithmen für die indolenten Lymphome und die CLL?
Dr. Jochen Post: Christian Buske aus Ulm bemerkte hierzu, dass die Innovationen beim FL derzeit im 2. Rezidiv stattfinden, und er präsentierte diesbezüglich auch die aktualisierte Onkopedia-Leitlinie [10]. Demnach stehen bei der Therapie des FL der bispezifische Antikörper Mosunetuzumab sowie die CAR-T-Zell-Therapie Tisagenlecleucel (Tisa-cel) oder Lenalidomid plus Rituximab zur Verfügung. Buske stellte außerdem die geplante MorningLYTE-Studie vor, in welcher bei FL-Patienten in der 1. Linie die Kombination Mosunetuzumab plus Lenalidomid gegen Anti-CD20-Antikörper plus Chemotherapie getestet werden soll.
Beim Morbus Waldenström hat die Kombination Bortezomib plus R-DC (Dexamethason+Rituximab+Cyclophosphamid) Buske zufolge ein 95%iges Ansprechen (ein Drittel Komplettremission und sehr gute partielle Remission ) gezeigt [11]. Er wies aber darauf hin, dass bei Morbus Waldenström mit MYD88-Negativität Vorsicht geboten ist. Dieser verlaufe aggressiver und spreche schlecht auf Ibrutinib an, weswegen Zanubrutinib oder auch Rituximab plus Bendamustin verabreicht werden sollte. Eine MYD88-Bestimmung sollte daher obligat sein.
Barbara Eichhorst aus Köln referierte über die GAIA/CLL13-Studie (NCT02950051), welche die Dreifachkombination Venetoclax, Ibrutinib und Obinutuzumab bei CLL mit Hochrisikokonstellation (del[17p], TP53-mutiert) testet [12, 13]. Wie sie ausführte, zeigte sich ein hohes Ansprechen, aber auch eine erhebliche Toxizität. Zugelassen ist diese Therapie bis dato nicht.
hematooncology.com: Auf dem Kongress der DGHO wurde die Frage nach der Kombination von BTKi und BCL2-Inhibitoren als Erstlinientherapie für die CLL diskutiert. Was können die Kollegen für ihren klinischen Alltag bzw. ihren Praxisalltag daraus mitnehmen?
Dr. Jochen Post: Diesbezüglich wurden die GLOW-Studie (NCT03462719) [14] und die CAPTIVATE-Studie (NCT02910583) [15] intensiv diskutiert. In beiden Studien zeigte sich nach einer Erstlinientherapie mit Ibrutinib plus Venetoclax über eine Dauer von 15 Monaten ein langes therapiefreies Intervall (27 Monate bei 90% der Patienten im Follow-up der GLOW-Studie). Spannend ist dabei, dass im Falle eines Rezidivs eine erneute Therapie mit dem BTKi erfolgreich ist.
hematooncology.com: Bispezifische Antikörper und CAR-T-Zellen sind mittlerweile fester Therapiebestandteil bei vielen malignen Entitäten. Welche Rolle spielen sie für die CLL?
Dr. Jochen Post: Wie Nadine Kutsch aus Köln erklärte, sind CAR-T-Zellen und bispezifische Antikörper auch bei der Behandlung der CLL in späten Linien (refraktäre und rezidivierte CLL) eine Option, wenn auch die Datenlage hierfür noch dünn ist [16]. Die CR/CRi-Rate (CR/CRi = Komplettremission/Komplettremission mit unvollständiger Erholung im Knochenmark) in der Studie TRANSCEND CLL 004 (NCT03331198) betrug zwar nur 18% [17], aber dennoch kommt man Kutsch zufolge mit einer Therapie aus und hat dann ein Fünftel der umfangreich vortherapierten Patienten in der Nachsorge (therapiefrei). In der Studie EPCORE CLL-1 (NCT04623541) ließ sich mit dem bispezifischen Antikörper Epcoritamab bei rezidivierter oder refraktärer CLL ein Gesamtansprechen von 62% und eine CR-Rate von 33% darstellen [18].
hematooncology.com: Lieber Herr Dr. Post, zum Abschluss ein Ausblick in die Zukunft: Künstliche Intelligenz in der Hämatologie/Onkologie – was ist heute schon möglich?
Dr. Jochen Post: Es wurden einige spannende Aspekte der künstlichen Intelligenz (AI) beleuchtet, etwa zur Bewertung von Kolonpolypen, zu histologischen Bildern oder auch zu radiologischen Verfahren. Spannend ist sicherlich die Beurteilung durchflusszytometrischer Befunde in der Lymphom- und Leukämiediagnostik, was eine erhebliche Zeitersparnis bedeuten kann [19]. Hilfreich wird AI in der akkuraten Diagnostik, in der Therapieplanung und in der Personalisierung von Therapien sowie beim frühzeitigen Monitoring von Nebenwirkungen sein [20]. Erste Programme hierzu laufen schon. Der Mensch als Kontrollinstanz bleibt aber derzeit noch unverzichtbar.
Quellen
- Bertossi C et al. Landscape of TP53 mutations in CLL deciphered from 1771 alterations in 1320 patients. Presented at DGHO 2023, Hamburg, abstract V155.
- Dreyling M et al. Efficacy and Safety of Ibrutinib Combined with Standard First-Line Treatment or As Substitute for Autologous Stem Cell Transplantation in Younger Patients with Mantle Cell Lymphoma: Results from the Randomized Triangle Trial By the European MCL Network. Blood 2022; 140: 1-3.
- Dreyling M. Mantle cell lymphoma: On the way to cure? Presented at DGHO 2023, Hamburg, abstract V460.
- Zinzani PL et al. Zanubrutinib plus Obinutuzumab versus Obinutuzumab in Patients with Relapsed/Refractory Follicular Lymphoma: Updated Analysis of the ROSEWOOD Study. Hematological Oncology 2023; 41: 119-121.
- Pott C. New treatment options for follicular lymphoma. Presented at DGHO 2023, Hamburg, abstract V461.
- Thompson ER et al. Single-cell sequencing demonstrates complex resistance landscape in CLL and MCL treated with BTK and BCL2 inhibitors. Blood Adv 2022; 6: 503-508.
- Schetelig J. Resistance profiles of the new inhibitors and their significance for sequential therapy decisions. Presented at DGHO 2023, Hamburg, abstract V281.
- Khalsa JK et al. Genetic events associated with venetoclax resistance in CLL identified by whole-exome sequencing of patient samples. Blood 2023; 142: 421-433.
- Naeem A et al. Pirtobrutinib targets BTK C481S in ibrutinib-resistant CLL but second-site BTK mutations lead to resistance. Blood Adv 2023; 7: 1929-1943.
- Buske C. Indolent lymphomas. Presented at DGHO 2023, Hamburg, abstract V892.
- Buske C et al. Bortezomib-Dexamethasone, Rituximab, and Cyclophosphamide as First-Line Treatment for Waldenström's Macroglobulinemia: A Prospectively Randomized Trial of the European Consortium for Waldenström's Macroglobulinemia. J Clin Oncol 2023; 41: 2607-2616.
- Eichhorst B et al. First-Line Venetoclax Combinations in Chronic Lymphocytic Leukemia. N Engl J Med 2023; 388: 1739-1754.
- Eichhorst B. Chronic lymphocytic leukaemia (CLL). Presented at DGHO 2023, Hamburg, abstract V893.
- Niemann CU et al. Residual Disease Kinetics Among Patients with High-Risk Factors Treated with First-Line Fixed-Duration Ibrutinib Plus Venetoclax (Ibr+Ven) Versus Chlorambucil Plus Obinutuzumab (Clb+O): The Glow Study. Blood 2022; 140: 228-230.
- Tam CS et al. Fixed-duration ibrutinib plus venetoclax for first-line treatment of CLL: primary analysis of the CAPTIVATE FD cohort. Blood 2022; 139: 3278-3289.
- Kutsch N. The significance of cellular therapies and bispecific antibodies in CLL. Presented at DGHO 2023, Hamburg, abstract V282.
- Siddiqi T et al. LISOCABTAGENE MARALEUCEL (LISO-CEL) IN R/R CHRONIC LYMPHOCYTIC LEUKEMIA (CLL)/SMALL LYMPHOCYTIC LYMPHOMA (SLL): PRIMARY ANALYSIS OF TRANSCEND CLL 004. Hematological Oncology 2023; 41: 60-62.
- Kater A et al. Epcoritamab in Patients With Relapsed or Refractory Chronic Lymphocytic Leukemia: Results From the Phase 1b/2 EPCORE CLL-1 Trial Expansion Cohort. Presented at iwCLL 2023, Boston, abstract 1546171.
- Müller M.-L. et al. Articial Intelligence (AI)-predicted medical diagnosis in suspected mature B-cell neoplasms based on ow cytometric raw data. Presented at DGHO 2023, Hamburg, abstract V554.
- Haferlach C. Articial intelligence (AI) in hematology/oncology daily routine: what is already possible? Presented at DGHO 2023, Hamburg, abstract V569.
- Bildnachweis: „Speicherstadt in Hamburg": © anyaivanova/iStock