Der Onko-Coach – ein Wegbereiter für die individualisierte Medizin in der Onkologie

Dr. med. Manfred Welslau, Facharzt für Innere Medizin, Hämatologie und internistische Onkologie, Hämato-Onkologische Schwerpunktpraxis am Klinikum Aschaffenburg

10.10.2017 – Durch die Fortschritte der modernen Tumormedizin ist es gelungen, vielen Patienten ein langes Leben auch mit einer malignen Erkrankung zu ermöglichen – bis hin zur Lebenserwartung von Gesunden. Dadurch ist nun allerdings auch eine dauerhafte kompetente Betreuung der Krebspatienten notwendig geworden. Das neue Berufsfeld des Onko-Coachs wird diesem Bedarf gerecht. Onko-Coaches sind speziell geschulte Praxismitarbeiter, die den Patienten gemeinsam mit dem Arzt durch die Therapie begleiten. Meist handelt es sich dabei um Krankenpflegerinnen und -pfleger mit langjähriger Erfahrung in ambulanter Chemotherapie. Die hier vorgestellten aktuellen Daten zeigen eindrücklich, welche Auswirkungen ein Onko-Coaching auf die Therapieabbruchrate bei Patienten mit oraler Chemotherapie haben kann.

Der „Aktionsplan individualisierte Medizin“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gibt es vor: In einer individualisierten Medizin kann die Fülle an individuellen Informationen über Patienten genutzt werden, um Krankheiten effektiv zu erkennen und zu therapieren. Denn der Mensch ist mehr als die Summe seiner Moleküle. Das zeigt auch die aktuelle Entwicklung der medizinischen Forschung, mit deren Hilfe mittlerweile eine Reihe von Tumorerkrankungen in chronische Erkrankungen verwandelt wurde. Das beste Beispiel dafür ist die chronisch-myeloische Leukämie. Hier unterscheidet sich die Lebenserwartung der Erkrankten nicht mehr von der Lebenserwartung Nichterkrankter. Die Voraussetzung dafür ist eine konsequente Therapieadhärenz. Dadurch ist es in einigen Fällen sogar möglich, die Medikamente abzusetzen, was einer Heilung gleichkommt.

Die Zahlen des Robert-Koch-Institutes zeigen es eindeutig: Weiterhin ist ein leichter Anstieg der altersstandardisierten Erkrankungsrate bei Tumorerkrankungen festzustellen, wohingegen die Sterberate eindeutig abnimmt [1]. Diese Entwicklung stellt uns aber gleichzeitig vor große Herausforderungen. Es gilt nun nämlich, immer mehr chronisch tumorkranke Patienten zu betreuen und zu versorgen. Dabei geht es bei Weitem nicht nur darum, individualisierte molekulare Therapien zu entwickeln, sondern den Menschen als Ganzes in seiner Krankheitssituation zu erfassen. Das heißt, es müssen individuelle psychosoziale, ethnische und altersbedingte Typologien des Menschen erfasst und dabei auch kognitive Fähigkeiten berücksichtigt werden.

Insgesamt müssen wir neue Betreuungsmodelle entwickeln, um Patienten in der chronischen Krebskrankheitssituation besser zu unterstützen.

Der Onko-Coach wurde auf der Basis der PACOCT-Studie entwickelt [2, 3]. Diese Studie hat deutschlandweit in einem randomisierten Kohortenvergleich an 28 Zentren bei Patienten in einer Erstliniensituation einer oralen Chemotherapie den Einfluss eines zusätzlichen Coaching-Gespräches durch nichtärztliche Coaches untersucht. Onko-Coaches sind speziell geschulte Praxismitarbeiter mit langjähriger Erfahrung in der Durchführung und Betreuung ambulanter Chemotherapien. Bei der Studie wurden signifikante Unterschiede in der gecoachten Gruppe (122 Patienten) im Vergleich zur nicht gecoachten Gruppe (56 Patienten) sichtbar – sowohl hinsichtlich des Verhaltens im Notfall als auch hinsichtlich der Kenntnisse über Nebenwirkungen und Wechselwirkungen der Medikamente. Auch wurden in der Coaching-Gruppe nur halb so viele Therapien durch Patienten abgebrochen (Abb. 1).

Abb. 1: Übersicht über Behandlungsabbrüche und deren Initiator bei Patienten mit und ohne zusätzliches Coaching-Gespräch durch einen Onko-Coach (modifiziert nach [3])

Das neue Berufsfeld Onko-Coaching braucht eine Basis der Fortbildung. Aus diesem Grund ist in Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftlichen Institut der Niedergelassenen Hämatologen und Onkologen (WINHO) und auf der Plattform des Arbeitskreises Klinische Studien (AKS) ein Fortbildungscurriculum entstanden. Dieses steht seit 2017 für die Onko-Coaches zur Verfügung. Insgesamt werden dabei in 100 Unterrichtseinheiten insbesondere kommunikative Fähigkeiten trainiert. Zusätzlich wird aber auch Wissen über subkutane, orale und multimodale Therapien sowie über psychoonkologische Aspekte vermittelt.

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Die zukünftigen Onko-Coaches können auch einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass wir ein regelmäßiges Symptommonitoring bei unseren Patienten auch außerhalb von Studien anbieten können. Dass dies sinnvoll ist, konnte die Präsentation von Ethan Basch auf dem diesjährigen ASCO eindrucksvoll zeigen [4, 5].

Aus meiner Sicht sind die zukünftigen Onko-Coaches ein wichtiger Bestandteil der onkologischen Versorgung. Sie tragen erheblich zu einer Verbesserung der individualisierten Medizin bei. Die Onko-Coaches können uns Ärzte entlasten. Dadurch werden bei uns Ressourcen frei, um die rasante Entwicklung immer spezifischerer Diagnose- und Therapieverfahren im Klinik- oder Praxisalltag umzusetzen.

Quellen

  1. Kaatsch DP et al. Krebs in Deutschland 2007/2008. 8. Ausgabe. Robert Koch-Institut (Hrsg) und die Gesellschaft der epidemiologischen Krebsregister in Deutschland e.V. (Hrsg). Berlin, 2012.
  2. Riese C et al. Effectiveness of a standardized patient education program on therapy-related side effects and unplanned therapy interruptions in oral cancer therapy: a cluster-randomized controlled trial. Support Care Cancer 2017.
  3. Welslau M et al. Patients´ competence in oral cancer therapies. J Clin Oncol 34, 2016 (suppl; abstr 6517).
  4. Basch EM et al. Overall survival results of a randomized trial assessing patient-reported outcomes for symptom monitoring during routine cancer treatment. J Clin Oncol 35, 2017 (suppl; abstr LBA2).
  5. Basch E et al. Overall survival results of a trial assessing patient-reported outcomes for symptom monitoring during routine cancer treatment. JAMA 2017; 318: 197–198.

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  • Dr. med. Manfred Welslau
    Facharzt für Innere Medizin, Hämatologie und internistische Onkologie, Hämato-Onkologische Schwerpunktpraxis am Klinikum Aschaffenburg