Checkpointinhibitoren bei NSCLC im klinischen Alltag – Versuch einer Standortbestimmung

Dr. med. Jürgen Wehmeyer, Facharzt für Innere Medizin, Hämatologie und Onkologie, Gemeinschaftspraxis für Hämatologie und Onkologie, Münster

12.10.2015 - Immunonkologie ist weiterhin das Topthema auf allen Kongressen. Auch auf dem diesjährigen ESMO-Kongress war das nicht anders. Die Checkpointinhibitoren kommen beim nichtkleinzelligen Bronchialkarzinom (NSCLC) in der Regelversorgung an und setzen neue Maßstäbe. Updates der CheckMate-017- und -057-Studien bestätigen die Überlegenheit von Nivolumab gegenüber Docetaxel in der Zweitlinientherapie. Die POPLAR-Studie reproduziert diese Ergebnisse nun auch für Atezolizumab. Mit Pembrolizumab hat der zweite PD-1-Inhibitor die Second-Line-Zulassung für alle NSCLC-Subtypen abhängig von der PD-L1-Expression in den USA erhalten.

Ist der Hype gerechtfertigt? Haben wir einen neuen Standard?

Sicher haben Sie das auch schon erlebt: Patienten und vor allem ihre Angehörigen stürmen mit Nachrichten von den neuen Wunderwaffen aus der Immunonkologie in Ihre Sprechstunde. Wie reagieren Sie? Angesichts der Aufregung um die neuen immunonkologischen Medikamente, allen voran die Checkpointinhibitoren, ist es manchmal schwer, kühlen Kopf zu bewahren. Was begründet die kollektive Euphorie auch beim nichtkleinzelligen Bronchialkarzinom (NSCLC)?

Zunächst einmal: Die Ansprechrate ist es sicher nicht. Nach wie vor gilt: Den meisten Patienten hilft die Therapie nicht. Gegenüber Docetaxel signifikant überlegene Remissionsraten von 20 bis 30 % je nach Studie zeigen eher, wie erbärmlich schlecht unser bisheriger Standard war. Auch eine Lebensverlängerung von im Median ca. 3 Monaten ist zwar relevant, haut einen aber nicht unbedingt vom Hocker.

Aber mal ehrlich: Wer von uns würde eine Checkpointinhibitortherapie nicht für seine eigenen Angehörigen haben wollen? Wenn wir da bei Docetaxel und Erlotinib angesichts von Ansprechraten < 10 % und der Toxizität schwer ins Grübeln kommen, liegt hier der erste wahre Vorteil der PD1- und PD-L1-Inhibitoren. Es sind angesichts von Grad-3/4-Toxizitäten < 10 % gute Substanzen für die palliative Therapie! Die Sorge, den ohnehin schwerkranken Lungenkrebspatienten zusätzlich zu schaden, ist fast immer unbegründet. Das Update der CheckMate-017-Studie zeigt eindrücklich, wie sich die Lebensqualität unter Nivolumab im Gegensatz zu Docetaxel verbessert (Abb. 1) [1].

Abb. 1: Lebensqualität, gemessen anhand des EQ-5D-Utility-Index, unter Nivolumab im Vergleich zu Docetaxel (modifiziert nach Reck M, Proffered Paper Session: Lung Cancer - Metastatic Disease, ESMO Congress 2015, #3011 [1]).

Der zweite große Unterschied ist – erstmalig – die Chance auf eine langdauernde Remission für NSCLC-Patienten ohne aktivierende Mutationen mit der Option einer zielgerichteten Therapie. Und das ist nach wie vor die große Mehrheit unserer Patienten. Überlebensraten von 39 % eineinhalb Jahre nach Progression unter oder nach Platin wie in CheckMate 057 sind bisher unerreicht [2].

Brauchen wir Biomarker? Selbstverständlich. Nicht nur aus medizinischen, auch aus ökonomischen Gründen müssen wir angesichts von monatlichen Therapiekosten von ca. 8.500 Euro (Nivolumab, 80-kg-Patient) definieren, welche Patienten profitieren und welche vermutlich nicht. Ist die PD-1- oder PD-L1-Expression auf Tumorzellen oder T-Zellen die Lösung? Sie ist ganz offensichtlich zumindest ein guter prädiktiver Marker für die Chance auf ein Ansprechen. Dies zeigt auch aktuell die POPLAR-Studie [3], in der Patienten mit hoher PDL1-Expression unter dem PD-L1-Inhibitor Atezolizumab ein medianes Überleben von 15 Monaten hatten, während es sich bei niedriger oder fehlender PD-L1-Expression nicht von dem unter Docetaxel unterschied (9,7 Monate). Die FDA-Zulassung von Pembrolizumab aufgrund der Daten der Keynote-001-Studie wurde aktuell an den Nachweis von PD-L1 in der Immunhistochemie gekoppelt.

Doch es gibt auch Probleme:

  1. Es existiert kein validierter Test für alle Substanzen.
  2. Wir brauchen repräsentatives Gewebe (evtl. sogar repetitiv und mit dem Risiko, nicht die eine gute Immunantwort vorhersagende Tumor-Lymphozytengrenze zu treffen). Zytologie oder gar „Liquid Biopsie“ sind nicht ausreichend. Dies läuft dem Trend hin zu einer wenig invasiven und belastenden Diagnostik (EBUS-Zytologie etc.) entgegen.
  3. Wir haben häufig hohen Behandlungsdruck bei klinischer Verschlechterung. Deshalb muss ein Test schnell, unkompliziert und flächendeckend zur Verfügung stehen.
  4. Und schließlich: Bisher hat keine Studie eine unterlegene Wirksamkeit gegenüber dem Chemotherapie-Standardarm für Patienten mit niedriger, fehlender oder nicht bestimmter PD1- oder PD-L1-Expression gezeigt. Anders als bei der EGF-R-Therapie des RAS-mutierten Kolonkarzinoms ist ein Nichtansprechen damit nicht sicher vorherzusagen. Angesichts der Toxizitäten: Welche Therapie würden Sie für sich wählen?

Weitere prädiktive Faktoren zeichnen sich ab. Tumoren mit vielen Mutationen sind offenbar immunogener und sprechen besser an, Raucher (möglicherweise infolgedessen) besser als Nichtraucher etc. Der histologische Subtyp ist dagegen als unabhängiger prädiktiver Faktor möglicherweise nachrangig, der Vorteil der Immunonkologie gegenüber der klassischen Chemotherapie ist bei Plattenepithelkarzinomen und bei Adenokarzinomen (bei insgesamt besserer Prognose der letzteren) nachweisbar.

Der aktuelle Zulassungsstatus in Deutschland (nur Nivolumab BMS bei Plattenepithelkarzinom ohne PD-1-Test) ist eine Momentaufnahme. Die Zulassungserweiterung auf Adenokarzinome und die Zulassung weiterer Substanzen mit oder ohne immunhistochemischen Test werden kurzfristig erfolgen.

Auch in anderen Indikationen wird die Immunonkologie in Kürze Einzug halten und die Therapiestandards verändern. Die entscheidende Frage wird sein, wie wir diesen unstrittigen Fortschritt finanzieren können.

Mein Fazit:

Auch wenn die Entwicklung in der Immunonkologie erst am Anfang steht, haben wir bereits jetzt einen neuen Standard in der Zweitlinientherapie des NSCLC. Den Daten nach gilt das für alle Subentitäten (bis auf die wenigen Patienten, für die eine zielgerichtete Therapie möglich ist). Zugelassen ist diese Option derzeit jedoch nur für Plattenepithelkarzinome. Auf die Daten zur Erstlinienbehandlung und zu Kombinationen warten wir gespannt. Die Euphorie ist angesichts der guten Akutverträglichkeit und der Chance auf Langzeitremissionen berechtigt, die Sorge wegen der zukünftigen Kosten für die Therapie der in absoluten Zahlen am häufigsten tödlichen Tumorerkrankung ebenso.

Und zum Schluss noch eine Anmerkung:

Nach Jahren einer zunehmenden Aufsplittung der großen Tumorentitäten in kleine und immer kleinere Gruppen molekular definierter Tumorsubentitäten, für die ggf. spezifische Substanzen zur Verfügung stehen, deren Namen man sich zunehmend schlechter merken kann, empfindet es vermutlich nicht nur der Autor dieses Artikels als intellektuell entlastend, ein offenbar universales Therapieprinzip für die „großen Killer“ neu zu entdecken. Möglicherweise rührt ein Teil der Euphorie auch aus dem nachvollziehbaren Bedürfnis nach Übersichtlichkeit und dem Wunsch, den „Common Denominator“ zu finden, wie es Susan Topalian in ihrer Karnofski-Lecture beim ASCO-Kongress so eindrucksvoll beschrieben hat [4]. Vorhersehbar wird sich dieses Bedürfnis aber auch mit der Immunonkologie nicht erfüllen. Es bleibt kompliziert.

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Quellen

  1. Reck M. Evaluation of overall health status in patients with advanced squamous non-small cell lung cancer treated with nivolumab or docetaxel in CheckMate 017. Proffered Paper Session: Lung Cancer - Metastatic Disease, ESMO Congress 2015, #3011
  2. Horn L. Phase 3, randomized trial (CheckMate 057) of nivolumab (NIVO) vs docetaxel (DOC) in advanced non-squamous (non-SQ) non-small cell lung cancer (NSCLC): Subgroup analyses and patient reported outcomes (PROs). Proffered Paper Session: Lung Cancer - Metastatic Disease, ESMO Congress 2015, #3010
  3. Vansteenkiste  J. LATE BREAKING ABSTRACT:Atezolizumab monotherapy vs docetaxel in 2L/3L non-small cell lung cancer: Primary analyses for efficacy, safety and predictive biomarkers from a randomized phase II study (POPLAR). Proffered Paper Session: Immunotherapy in Cancer I, ESMO Congress 2015, #14LBA
  4. Topalian SL. PD 1 Pathway Blockade: A Common Denominator for Cancer Therapy. David A. Karnofsky Memorial Award and Lecture, ASCO Annual Meeting 2015

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  • Dr. med. Jürgen Wehmeyer
    Facharzt für Innere Medizin, Hämatologie und Onkologie, Gemeinschaftspraxis für Hämatologie und Onkologie, Münster