Case Report: Entwicklung eines MDS-EB2 mit erstmaligem Nachweis einer TP53- und SF3B1-Mutation unter Behandlung einer CLL mit Venetoclax wegen Übergangs in ein Richter-Syndrom

Prof. (SHB) Dr. med. Dirk Hempel, Onkologisches Zentrum Donauwörth/Dachau

03.12.2018 – Wir berichten hier über einen 59-jährigen Patienten, bei dem im Jahr 2003 eine chronisch lymphatische Leukämie (CLL) des Knochenmarks im Stadium Binet B ohne genetische Risikofaktoren festgestellt wurde. Führend bei dem Patienten waren zervikale, mediastinale und abdominelle Lymphknoten-Bulks bis 10 cm, welche 2009 die Indikation zu einer Therapie mit Rituximab und Bendamustin (R-Ben) darstellten.

Umfrage

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Rituximab-Fludarabin/Cyclophosphamid (RFC)

Die Erkrankung war nach 6 Zyklen R-Ben stabil, bis 2013 eine erneute Behandlung mit Rituximab-Fludarabin/Cyclophosphamid (RFC) wegen eines neuerlichen Lymphknotenprogresses nötig wurde (Abb. 1). Wie bereits zuvor war auch zu diesem Zeitpunkt die Zyto- und Molekulargenetik der Erkrankung unauffällig.

Abb. 1: Lymphknotenprogresses 2013. Linkes Bild: multiple pathologische Lymphknoten (LK) zervikal beidseits in den Halsgefäßscheiden, teilweise als Bulks (hier: zervikal rechts); rechtes Bild: multiple pathologische LK intraabdominell paraaortal, paramesenterial und parailiakal retroperitoneal (hier: LK-Bulk im Unterbauch rechts).

Ibrutinib

Nach einem initialen Ansprechen entwickelte der Patient im Jahr 2014 ein erneutes Rezidiv – wiederum mit führenden LK-Bulks an den oben genannten Lokalisationen. Daher wurde eine Behandlung mit Ibrutinib 420 mg/Tag p. o. eingeleitet.

Wie alle BTK-Inhibitoren greift Ibrutinib an das Cystein der Position 481 der ATP-Bindungstasche (ATP = Adenosintriphosphat) der Bruton-Tyrosinkinase (BTK) an und verhindern so die Bindung von ATP an das Molekül. Dadurch wird die Aktivierung der BTK verhindert. Es handelt sich hierbei um eine kovalente Bindung, die die Phosphorylierung der Tyrosinkinase irreversibel hemmt.

Mittlerweile ist Ibrutinib für die Frontline-Therapie von Patienten mit CLL, für Patienten mit TP53-Mutation und – wie im beschriebenen Fall – für Patienten mit CLL-Rezidiv zugelassen.

Ibrutinib blockiert weitere Tyrosinkinasen, woraus das Nebenwirkungsprofil der Substanz resultiert. Dieses besteht aus einer Lymphozytose durch die Blockade von CXCR4, aus einer Blutungsneigung durch die Inhibition der Tyrosin-Protein-Kinase TEC auf Thrombozyten sowie aus Ausschlägen und Durchfällen durch die Blockade des Epidermal-Growth-Factor-Rezeptors (EGFR).

Der Patient erhielt von 2014 bis 2016 Ibrutinib in der Standarddosierung von 420 mg/Tag bei gutem Ansprechen und guter Verträglichkeit.

2016 entwickelte der Patient erneut in kurzer Zeit multiple LK-Bulks. Die Biopsie der LK-Bulks und die Knochenmarkdiagnostik ergaben eine Richter-Transformation der Erkrankung mit ubiquitären Lymphknoten sowie einer blastären Knochenmarkinfiltration.

Als Ursache für die Ibrutinib-Resistenz konnte eine Mutation im Exon 15 des BTK-Gens nachgewiesen werden. Dadurch wird die Bindung von Ibrutinib in der ATP-Bindungstasche der BTK verhindert und ein Wirkungsverlust tritt ein.

Bei circa 85% der Patienten mit einer Resistenz gegen Ibrutinib werden erworbene BTK- oder PLCG2-Mutationen nachgewiesen. Am häufigsten – wie auch in diesem Fall – zeigen sich Mutationen in C481S [1, 2, 3, 4, 5].

Die beschriebenen Mutationen treten circa 9 Monate vor dem eigentlichen Rezidiv auf. Das heißt, ein diesbezügliches Monitoring könnte eine frühere Intervention ermöglichen.

Venetoclax

Der Patient erhielt in dieser Situation im Jahr 2016 den BCL-2-Inhibitor Venetoclax.

BCL-2-Proteine bestehen aus zwei Gruppen – nämlich aus

  • proapoptotischen Proteinen wie BIM, BAD und PUMA, die den Zelltod auslösen, und aus
  • antiapoptotischen Proteinen wie BCL-2, MCL1 und BCL-XL, die das Zellüberleben unterstützen.

Zwischen beiden Systemen besteht in gesunden Zellen eine ausgeglichene Balance. Im Fall einer Imbalance hin zur Proapoptose werden Bak/Bax-Komplexe gebildet. In der Folge kommt es zu einer Permeabilisierung der zytoplasmatischen Mitochondrien und zu einer Depolarisation sowie zur Caspasenaktivierung und schließlich zur Apoptose mit Zelltod.

Bei der CLL ist BCL-2 überexprimiert, sodass die Antiapoptose überwiegt. Damit kommt es zu einem unkontrollierten Wachstum von malignen Lymphozyten der CLL, die keiner Apoptose unterliegen. Venetoclax inhibiert BCL-2 und löst so die Apoptose der CLL-Zellen aus.

Während der Therapieeinleitung entwickelte der Patient ein Tumorlysesyndrom, welches nach einer Hydrierung und dem Einsatz von Rasburicase sowie einer initialen Dosisanpassung kontrolliert werden konnte.

Von 2016 bis 2018 lag bei dem Patienten schließlich eine MRD-Negativität vor und der BTK-mutierte Zellklon war nicht mehr detektierbar.

Myelodysplastisches Syndrom mit Blastenexzess (MDS-EB2)

Nach einem längeren Urlaub im Jahr 2018 stellte sich der Patient mit einer schweren Trizytopenie mit einer Leukopenie von 0,5/nl – verbunden mit einer beidseitigen Pneumonie und Sepsis – erneut vor. Unter einer empirischen antibiotischen Behandlung konnte die Situation kontrolliert werden. Die Knochenmarkbiopsie ergab ein myelodysplastisches Syndrom mit Blastenexzess (MDS-EB2) mit nun erstmaligem Nachweis einer TP53- und SF3B1-Mutation. Der BTK-mutierte Zellklon war weiterhin nicht nachweisbar.

Der Patient wurde daraufhin für eine allogene Stammzelltransplantation gemeldet.

Merke: Die Behandlung mit Venetoclax sollte bei einem Zustand nach Richter-Syndrom nicht unterbrochen werden, da es in der Folge schnell zu Rezidiven der Erkrankung kommen kann.

Bridging: Venetoclax + 5-Azycitidin (5-AZA)

Als Bridging erhielt der Patient daher eine Behandlung mit Venetoclax + 5-Azycitidin (5-AZA). Ein Kennzeichen von myeloischen Dysplasien ist die Störung der Apoptose. Hierbei spielt die antiapoptotische Wirkung von BCL-2 eine große Rolle. Es konnte gezeigt werden, dass die pharmakologische Inhibition von BCL-2 den Zelltod bei Patienten mit MDS induzieren kann [6] Die Implementierung der pharmakologischen BCL-2-Hemmung bei der Therapie des MDS ist daher Gegenstand innovativer Forschungsprotokolle. In diesem Zusammenhang wird auch das Zusammenspiel zwischen TP53 und BCL-2 untersucht.

In Lancet Oncology veröffentlichten DiNardo et al. kürzlich eine Phase-Ib-Studie zur Effektivität von 5-AZA in Kombination mit Venetoclax bei älteren Patienten mit akuter myeloischer Leukämie (AML) [7]. Wegen der beschriebenen erheblichen Hämatotoxizität, verbunden mit einem hohen Risiko für febrile Neutropenien, erhielt der Patient 5-AZA in einer Dosierung von 75 mg/m2 Körperoberfläche s. c. – allerdings lediglich an 5 Tagen. Kombiniert wurde dies mit Venetoclax 400 mg/Tag.

Der Patient wurde mit 2 Zyklen der oben genannten Behandlung therapiert. In der darauffolgenden Knochenmarkuntersuchung lag die Blastenzahl unter < 5%. Alle drei Blutzellreihen lagen im Normbereich. Die SF3B1- und TP53-Mutation war allerdings im Knochenmark weiterhin nachweisbar.

Die Erkrankung wurde als MDS mit multilineärer Dysplasie (MDS-MLD) klassifiziert.

Allogene Knochenmarktransplantation

In der Folge erhielt der Patient eine allogene Knochenmarktransplantation.

Fazit

Insgesamt zeigt dieser Fall sowohl eindrucksvoll die Wirksamkeit der BCL-2-Inhibition bei der CLL-Behandlung als auch den Stellenwert der Substanz in Kombination mit hypomethylierenden Substanzen bei der Therapie des fortgeschrittenen MDS. Dieser Stellenwert sollte in weiteren Studien eingehender untersucht werden.

Quellen

  1. Woyach JA et al. Resistance mechanisms for the Bruton's tyrosine kinase inhibitor ibrutinib. N Engl J Med 2014; 370: 2286–2294.
  2. Liu TM et al. Hypermorphic mutation of phospholipase C, gamma2 acquired in ibrutinib-resistant CLL confers BTK independency upon B-cell receptor activation. Blood 2015; 126: 61-68.
  3. Burger JA et al. Clonal evolution in patients with chronic lymphocytic leukaemia developing resistance to BTK inhibition. Nat Commun 2016; 7: 11589.
  4. Woyach JA. How I manage ibrutinib-refractory chronic lymphocytic leukemia. Blood 2017; 129: 1270-1274.
  5. Ahn IE et al. Clonal evolution leading to ibrutinib resistance in chronic lymphocytic leukemia. Blood 2017; 129: 1469–1479.
  6. Reidel V et al. Selective inhibition of BCL-2 is a promising target in patients with high-risk myelodysplastic syndromes and adverse mutational profile. Oncotarget 2018; 9: 17270-17281.
  7. DiNardo CD et al. Safety and preliminary efficacy of venetoclax with decitabine or azacitidine in elderly patients with previously untreated acute myeloid leukaemia: a non-randomised, open-label, phase 1b study. Lancet Oncol 2018; 19: 216–228.

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