„Breakthrough therapy designation der FDA: Symptommonitoring verlängert Gesamtüberleben von Krebspatienten“

Dr. med. Jens Kisro, Facharzt für Innere Medizin, Hämatologie und internistische Onkologie, Lübecker Onkologische Schwerpunktpraxis

30.6.2017 – So oder so ähnlich würde der Titel der Pressemitteilung lauten, wenn es sich bei der von Ethan Basch in der Plenary Session des ASCO-Kongresses 2017 vorgestellten Studie um die Wirkung eines neuen Medikaments gehandelt hätte [1]. Doch statt eines neuen Arzneimittels wurde hier eine ganz andere Wunderwaffe eingesetzt.

In der Studie wurden computergestützt folgende zwölf Leitsymptome und deren Veränderung bei Karzinompatienten unter einer laufenden Chemotherapie erfasst: Appetitverlust, Übelkeit, Erbrechen, Verstopfung, Diarrhoe, Dysurie, Husten, Dyspnoe, Schmerzen, Fatigue, Hitzewallungen und Polyneuropathie.

Basch stellte das Langzeit-Follow-up und die Gesamtüberlebensdaten seiner schon im Dezember 2015 im Journal of Clinical Oncology publizierten Studie vor. Diese ist als Volltext inklusive des ausführlichen Methodenteils hier frei zugänglich [2].

Bei der Studie handelt es ich um eine prospektive Phase-III-Studie mit 766 Patienten unter einer laufenden Chemotherapie, die am Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York durchgeführt wurde. In die Studie eingeschlossen wurden Patienten mit metastasierten gynäkologischen Tumoren inklusive Mammakarzinom, mit uroonkologischen Tumoren und mit Lungenkarzinomen. Die Patienten wurden randomisiert einer Standardbehandlungsgruppe oder einer Interventionsgruppe zugeteilt.

In der Interventionsgruppe konnten die Patienten über ein computergestütztes System die oben angegebenen Leitsymptome und ihre Veränderung mithilfe eines Scoringsystems zwischen 0 und 5 bewerten (ähnlich den Common Toxicity Criteria [CTC]). Diese Daten wurden bei den Besuchen der Patienten im Zentrum ausgelesen und analysiert. Wurde ein bestimmter Grenzschwellenwert überschritten, generierte das System außerdem eine automatische Nachricht an das betreuende Schwestern- beziehungsweise Onkologenteam.

Nachdem schon in der Publikation aus dem Jahre 2015 eine statistisch signifikante und klinisch bedeutsame Verbesserung der gesundheitsassoziierten Lebensqualität gezeigt werden konnte, wurde jetzt auf dem ASCO-Kongress eine zusätzliche statistisch signifikante Verbesserung des medianen Gesamtüberlebens in der Interventionsgruppe von 31,2 Monaten im Vergleich zu 26 Monaten in der Standardbehandlungsgruppe demonstriert (p = 0,03) (Abb. 1). Dieses Ergebnis hielt auch einer multivariaten Analyse stand (Hazard Ratio = 0,83; 95-%-Konfidenzintervall 0,70–0,99; p = 0,04).

Abb. 1: Gesamtüberleben (OS) unter Patient-Reported-Symptommonitoring (Interventionsgruppe) vs. Standardbehandlung bei Patienten mit metastasiertem Karzinom und Chemotherapie: Signifikant erhöhte OS-Rate in der Interventionsgruppe (modifiziert nach [1])

Diese klinisch relevante Differenz bewegt sich in einer Größenordnung, in der in den letzten Jahren eine Reihe von Tyrosinkinaseinhibitoren und monoklonalen Antikörpern zugelassen wurde. Im Vergleich zu den Daten dieser Substanzen fiel bei der vorgestellten Arbeit zum Symptommonitoring mittels Patient-Reported-Outcomes die Rate relevanter Nebenwirkungen erfreulich gering aus.

Den positiven Effekt bezüglich des Gesamtüberlebens in der Interventionsgruppe erklärte Basch vor allem mit der erhöhten Wachsamkeit sowohl der Patienten als auch der behandelnden Ärzte hinsichtlich der Nebenwirkungen oder einer Verschlechterung der Grundkrankheit und mit einer damit einhergehenden frühzeitig eingeleiteten Intervention. Darüber hinaus wurde eine erhöhte Adhärenz der Patienten in aktiver Behandlung diskutiert.

Für die Übertragbarkeit dieser Daten auf unseren klinischen Alltag mag man als Kritikpunkte anführen, dass es sich hier um eine monozentrische Studie des Memorial Sloan Kettering Cancer Centers handelt, deren personelle Ausstattung weit über das im Alltag übliche Maß hinausgeht und dass viele unserer älteren Patienten möglicherweise ein solches computergestütztes Erfassungssystem nicht entsprechend handhaben könnten. Dabei handelt es sich aber strukturell um ein ähnliches Problem wie bei medikamentenbezogenen Zulassungsstudien, deren Ergebnisse ebenfalls nur durch eine erhebliche Adaptation für unseren klinischen Alltag tauglich gemacht werden können. Denn meist repräsentieren die Patientenpopulationen und durchgeführten Behandlungen in den Studien nur zu einem geringen Prozentsatz unsere Alltagssituation.

Meiner Meinung nach wäre eine reduzierte Version in Papierform bezüglich der Analyse der oben genannten Leitsymptome relativ einfach in den klinischen Alltag zu integrieren und mit Sicherheit zum Nutzen unserer Patienten und auch des Gesundheitssystems.

Die von Ethan Basch und seinen Mitarbeitern präsentierten Ergebnisse sind ein mit harten Daten unterlegter Weckruf an uns Ärzte, unseren Patienten aufmerksam zuzuhören und aus dem Gehörten die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen. Das ist „good clinical practice at its best“ und sollte am Anfang jeder Leitlinienempfehlung genannt werden.

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Quellen

  1. Basch E et al. Overall Survival Results of a Trial Assessing Patient-Reported Outcomes for Symptom Monitoring During Routine Cancer Treatment. JAMA 2017.
  2. Basch E et al. Symptom Monitoring With Patient-Reported Outcomes During Routine Cancer Treatment: A Randomized Controlled Trial. J Clin Oncol 2016; 34: 557–565.

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  • Dr. med. Jens Kisro
    Facharzt für Innere Medizin, Hämatologie und internistische Onkologie, Lübecker Onkologische Schwerpunktpraxis