„Sidedness matters“ – wie die Lokalisation des Primärtumors beim Kolonkarzinom unser therapeutisches Handeln beeinflussen sollte

Dr. med. Jürgen Wehmeyer, Facharzt für Innere Medizin, Hämatologie und Onkologie, Gemeinschaftspraxis für Hämatologie und Onkologie, Münster

22.06.2015 - Die Jahrestagung der American Society of Clinical Oncology (ASCO) 2016 hatte diesmal keine revolutionären Neuigkeiten zu bieten. Aber dafür gab es eine Reihe von Ergebnissen aus großen klinischen Studien mit unmittelbaren Auswirkungen auf unsere tägliche Praxis. Neben den Daten zum Blasenkarzinom (IMvigor210, Checkpointinhibitoren), Mammakarzinom (PALOMA-2, CDK4/6-Inhibitoren), multiplen Myelom (CASTOR, CD38-Antikörper) und Pankreaskarzinom (ESPAC-4, kombinierte adjuvante Systemtherapie) waren es vor allem die Beiträge zum Kolonkarzinom, die eine Veränderung unserer Sicht auf die Erkrankung und unser Handeln verändern werden. „Sidedness matters“ – ob der Primärtumor links oder rechts im Darm sitzt, ist wichtig! So lautet die – eigentlich nicht ganz neue – Botschaft. Aber erstmalig ergeben sich jetzt daraus auch therapeutische Konsequenzen ...

Rechtseitige Kolonkarzinome haben eine schlechtere Prognose – diese banale Botschaft haben wir alle schon in unserem Studium vernommen. Es ist ja auch unmittelbar einleuchtend: Tumore des Zökums und des Kolon aszendens und transversum machen erst später Beschwerden und werden daher auch erst in einem weiter fortgeschrittenen Stadium entdeckt als die Tumore im Kolon deszendens, Sigma und Rektum. Dadurch entsteht ein Lead-Time-Bias, der die schlechtere Prognose erklärt. Aber handelt es sich auch um biologisch unterschiedliche Erkrankungen?

Auch dazu wissen wir seit Jahren schon eine Menge:

  • Zunächst einmal: Das rechtsseitige Kolon stammt entwicklungsgeschichtlich aus dem Midgut, das linksseitige ist dem Hindgut zuzuordnen [1]. Aus der Therapie neuroendokriner Tumore wissen wir seit langem, dass dies klinisch bedeutsam ist. Biologische Unterschiede sind daher nicht überraschend, sondern zu erwarten.
  • Auch klinisch präsentieren sich die Erkrankungen unterschiedlich. Patienten mit Tumoren der rechten Seite, die circa ein Drittel aller Kolonkarzinome ausmachen (inklusive der insgesamt nicht sehr häufigen [ca. 5–10%] Transversumkarzinome), sind häufiger älter und weiblich, haben öfter okkulte Blutungen und eine Peritonealkarzinose [2].
  • Und schließlich gibt es deutliche Unterschiede in der Pathologie: Rechtsseitige Tumore entstehen häufiger aus sessilen Polypen, sind schlechter differenziert und haben häufiger eine muzinöse beziehungsweise eine Siegelringzell-Histologie.

Zusammenfassend ist es daher nicht überraschend, dass sich die Prognose zwischen den rechtsseitigen und den linksseitigen Tumoren auch wegen der unterschiedlichen Biologie der Erkrankung selbst unterscheidet. Es handelt sich bei der Unterscheidung zwischen rechts und links also um einen prognostischen Marker. Eine aktuelle Analyse aus der nordamerikanischen SEER-Datenbank zeigt das sehr deutlich (Abb. 1) [3].

Abb. 1: Gesamtüberleben bei kolorektalen Karzinomen im Stadium IV nach primärer Tumorlokalisation. Daten aus der nordamerikanischen SEER-Datenbank, Diagnosestellung in den Jahren 2000 bis 2012 (modifiziert nach [3]).

Alles schön und gut. Die prognostische Relevanz der Seitenlokalisation ist klar. Aber was hilft uns das für die Therapie?

Hat die Seitenlokalisation auch eine prädiktive Bedeutung?

Bezüglich der einzusetzenden Chemotherapie lautet die Antwort zunächst einmal (erstaunlich genug): Das wissen wir nicht. Es gibt dazu keine systematische Untersuchung.

Aber – und das ist die entscheidende Botschaft dieses ASCO – im Hinblick auf die Antikörpertherapie sehen wir klare Unterschiede.

Bereits im vorletzten Jahr hat die FIRE-3-Studiengruppe beim ASCO Daten präsentiert, die zeigen, dass in der RAS-Wildtyp-Gruppe ein deutlicher Unterschied zwischen rechts und links besteht und dass der Überlebensvorteil der mit Cetuximab behandelten Patienten gegenüber einer Bevacizumabtherapie durch den Vorteil bei den linksseitigen Tumoren zustande kommt, während rechtsseitig Bevacizumab (bei sehr kleinen Patientenzahlen und daher ohne Signifikanz) zumindest gleichwertig, wenn nicht überlegen schien [4].

Nun wurden die entsprechenden Daten der CALGB präsentiert, die in der KRAS-Wildtyp-Gruppe zu ganz ähnlichen Ergebnissen kommt [1]. Bei einem Unterschied von mehr als einem Jahr Überleben zugunsten der Patienten mit linksseitigen Tumoren (33 vs. 19 Monate) ist auch in der Subgruppenanalyse der CALGB Cetuximab auf der linken Seite dem Bevacizumab signifikant überlegen (36 vs. 31 Monate), dagegen rechts klar unterlegen (17 vs. 24 Monate). Der Unterschied zwischen rechts und links für die Cetuximabtherapie – sei es mit FOLFIRI wie in FIRE-3 oder mit überwiegend FOLFOX wie in CALGB ist riesig (19 Monate in CALGB) und in beiden Studien vergleichbar (Tab. 1).

Tab. 1: Unterschiede im medianen Gesamtüberleben unter Cetuximabtherapie je nach Tumorlokalisation (modifiziert nach [4]).

Sieht man sich die Daten der Cetuximab-Zulassungsstudie (Monotherapie Lastline gegen „best supportive care“) aufgeschlüsselt nach rechts und links an, erkennt man auch hier, dass der Nutzen der Antikörpertherapie ausschließlich aus dem Vorteil bei den linksseitigen Karzinomen zu resultieren scheint, da die rechtsseitigen Tumore, egal ob KRAS mutiert oder Wildtyp, nicht besser laufen als die Placebogruppe [5, 6].

Warum wirken Antikörper links anders als rechts?

In einem Beitrag zur Analyse molekulargenetischer Eigenschaften linksseitiger und rechtsseitiger KRAS-Wildtyp-Tumoren nach einer EGF-R-Antikörpertherapie zeigen Lee und Kollegen vom MD Anderson Cancer Center, dass die rechtsseitigen Tumoren circa sechsmal häufiger Mikrosatelliteninstabilitäten hatten, mehr als dreimal häufiger eine BRAF-Mutation und etwa doppelt so häufig eine Hypermethylierung (CIMP) aufwiesen – alles assoziiert mit einer Therapieresistenz [7] (Tab. 2). Außerdem hatten die rechtsseitigen Tumoren deutlich häufiger ein ungünstiges Gensignaturprofil (CMS 1 und 3) als die Tumoren der linken Kolonhälfte.

Tab. 2: Verteilung molekulargenetischer Eigenschaften von kolorektalen Tumoren nach Lokalisation: Die mit einer Therapieresistenz assoziierten Eigenschaften hohe MSI, mutiertes BRAF und hohe CIMP (Hypermethylierung) sind rechtsseitig häufiger (modifiziert nach [7]).

Wie soll ich also meine Patienten zukünftig behandeln? Getrennt nach RAS-Wildtyp und mutiert, BRAF, rechts und links? Die überwältigenden Hinweise auf einen riesigen Unterschied zwischen den Behandlungsergebnissen beim metastasierten Kolonkarzinom ohne RAS-Mutation je nach Seitenlokalisation des Primärtumors können nicht ignoriert werden. Im Zeitalter der zielgerichteten, molekulargenetisch begründeten Therapie mag sich mancher schwer damit tun, eine so vermeintlich plumpe und unwissenschaftlich anmutende Stratifizierung zu benutzen. Für den Patienten, der vor mir sitzt, brauche ich aber den Diskriminator mit der höchsten Trennschärfe für eine möglichst hohe Wahrscheinlichkeit, ihm mit meiner Therapie zu nutzen. Dabei ist die Seitenlokalisation im Moment offenbar der beste Surrogatparameter für eine Summe biologischer Unterschiede, die ich derzeit durch Analysen einzelner Parameter (noch) nicht mit der gleichen Genauigkeit erkennen kann. Ich behandele also nicht – als Schamane – unterschiedlich, weil die gleiche Erkrankung rechts oder links im Körper sitzt, sondern – wissenschaftlich begründet –, weil der Sitz rechts oder links mir derzeit besser als jeder genetische Einzeltest vorhersagt, dass unterschiedliche Tumoren mit unterschiedlicher Prognose und einem unterschiedlichen Ansprechen auf die jeweilige Antikörperchemotherapie vorliegen. Erst wenn wir darüber mehr wissen, werden wir den Surrogatmarker Lokalisation durch noch exaktere Verfahren ablösen können, die uns zum Beispiel vorhersagen lassen, welches RAS-Wildtyp-Kolonkarzinom auf der rechten Seite eventuell doch von einer EGF-R-Blockade profitieren könnte.

Viele Fragen bleiben offen: so etwa neben der Frage nach der besten Chemotherapie für beide Seiten natürlich auch die Frage nach dem Effekt der Therapie bei RAS-mutierten Patienten in Abhängigkeit von der Tumorlokalisation. Die Befunde aus FIRE-3 und CALGB sind hierzu aufgrund der geringen Fallzahl von RAS-mutierten Patienten, die ja im Verlauf der Studie von der Teilnahme ausgeschlossen waren, nicht aussagekräftig. Angesichts der erschütternd schlechten Ergebnisse der Cetuximabkombinationen rechts wäre es interessant zu wissen, ob es auch in den Zulassungsstudien mit FOLFIRI und FOLFOX überhaupt einen Unterschied zur alleinigen Chemotherapie beim RAS-Wildtyp auf der rechten Seite gab. Umgekehrt stellt sich angesichts des in allen Studien wenig überzeugenden Zusatznutzens von Bevacizumab zu FOLFOX gegen FOLFOX allein die Frage, ob dies seitenbezogen erklärt werden kann.

Ein Vorbehalt besteht natürlich: Es handelt sich ausschließlich um retrospektive und nicht vorgeplante Analysen, wenn auch mit sehr suggestiver Übereinstimmung. Ist die verfügbare Evidenz ausreichend oder brauchen wir eine prospektive randomisierte Studie zur Absicherung?

Lassen Sie mich das mit einer kleinen Anekdote beantworten, die ich am Abreisetag des Kongresses erlebt habe: Als unsere Gruppe vom Hotel zum Flughafen abgeholt wird, fragt der Shuttlebusfahrer: „Has everybody got his passport?“ Und auf die Nachfrage eines Kollegen „Why do you ask?“ entgegnet der offensichtlich im Umgang mit Wissenschaftlern erfahrene Mann: „Well, my longlasting personal experience shows a clear and profound advantage in getting home on time and without trouble in those having their passport available over the other group“. Diese unkontrollierte und gleichwohl auf vernünftigen Annahmen beruhende Post-hoc-Analyse der jeweils zu erwartenden Kommunikation mit der amerikanischen Grenzschutzbehörde zeigt meines Erachtens, dass unser Wissen im Alltag oft nicht auf randomisierten Studien beruht und eine solche wie im vorliegenden Fall für die Kontrollgruppe auch problematisch wäre.

Daher mein Fazit

Rechtsseitige Kolonkarzinome haben eine schlechtere Prognose als linksseitige, auch und vor allem, weil es biologisch andere Tumore sind.

Müssen wir sie deshalb auch unterschiedlich behandeln? Ja, ich glaube, das müssen wir. Können wir unsere Leitlinien aufgrund retrospektiver ungeplanter Analysen korrigieren? Ich glaube, es bleibt uns gar nichts anderes übrig. Müssen wir dann aber nicht auch derzeit laufende klinische Studien zu RAS-Wildtyp-Patienten überarbeiten und die EGF-R-Therapie für die rechte Seite ausschließen und eventuell für die linke Seite First-Line vorschreiben? Oh, je ...

Liebe Kollegen, was meinen Sie?

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Quellen

  1. Venook AP et al. Impact of primary (1º) tumor location on overall survival (OS) and progression-free survival (PFS) in patients (pts) with metastatic colorectal cancer (mCRC): Analysis of CALGB/SWOG 80405 (Alliance). J Clin Oncol 34, 2016 (suppl; abstr 3504).
  2. Nawa T et al. Differences between right- and left-sided colon cancer in patient characteristics, cancer morphology and histology. J Gastroenterol Hepatol 2008; 23: 418-423.
  3. Schrag D et al. The relationship between primary tumor sidedness and prognosis in colorectal cancer. J Clin Oncol 34, 2016 (suppl; abstr 3505).
  4. Goldberg RM. Highlights of the Day Session III: Gastrointestinal (Colorectal) Cancer. 2016 ASCO Annual Meeting, Chicago.
  5. Jonker DJ et al. Cetuximab for the treatment of colorectal cancer. N Engl J Med 2007; 357: 2040-2048.
  6. Brule SY et al. Location of colon cancer (right-sided versus left-sided) as a prognostic factor and a predictor of benefit from cetuximab in NCIC CO.17. Eur J Cancer 2015; 51: 1405-1414.
  7. Lee MS et al. Association of primary (1°) site and molecular features with progression-free survival (PFS) and overall survival (OS) of metastatic colorectal cancer (mCRC) after anti-epidermal growth factor receptor (αEGFR) therapy. J Clin Oncol 34, 2016 (suppl; abstr 3506).

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  • Dr. med. Jürgen Wehmeyer
    Facharzt für Innere Medizin, Hämatologie und Onkologie, Gemeinschaftspraxis für Hämatologie und Onkologie, Münster